25. September 2022
Heute bin ich tagsüber solo unterwegs, Auswärts-Frühstück inklusive. Währenddessen macht Stefan es sich zuhause in der Wohnung gemütlich.
Bei sonnigen 23 Grad laufe ich den breiten Passeig de Gracia entlang. Hier waren wir schon öfter unterwegs. Doch jetzt will ich mir die teils aufwendig gestalteten Hausfassaden genauer ansehen. Zu meiner großen Freude ist der komplette Straßenzug heute für den motorisierten Verkehr gesperrt. Denn gleich wird es einen Umzug geben, der im Rahmen des Festivals Mercè stattfindet. So komme ich in den Genuss, mitten auf der breiten Hauptverkehrsader zu laufen und mir passende Perspektiven für die Detailfotos frei aussuchen zu können.





Jedes Jahr findet das besagte Festival in der zweiten Septemberhälfte statt. Das Programm ist umfangreich und deckt ein großes inhaltliches Spektrum ab. Geboten werden Kinderprogramme, Kino, Konzerte, Theater, Tanz, Gastronomie und Sport. Kurzum: künstlerisch, kulturell und festlich geht es hier ordentlich ab in den folgenden Tagen. Die ganze Stadt verwandelt sich in eine große Bühne. Zahlreiche Gruppen, Vereine, Unternehmen und Sponsoren beteiligen sich aktiv und/oder finanziell. Und schon geht’s los. Da lassen sie im wahrsten Sinne des Wortes die Puppen tanzen. Vorhang auf für den Umzug der Riesen!








Als der Umzug vorbei ist, peile ich mein nächstes Ziel an. In Barcelonas Altstadt, direkt hinter dem berühmten Boqueria-Markt an den Ramblas, liegt ein Viertel, das bis vor wenigen Jahren als das Armenhaus der Stadt galt. Die Rede ist vom Raval.
Auch heute noch ist das von Einwanderern geprägte Viertel nicht flächendeckend saniert. Doch in den letzten 20 bis 30 Jahren wurde es durch Kunst, Kultur und Gastronomie deutlich aufgewertet.
Das Raval präsentiert sich immer noch mit eher rauem Charme. Das Publikum, das sich in den lauschigen Gassen bewegt, ist international. Ich finde das noch immer nicht glattgebügelte multikulturelle Ambiente sehr charmant und fühle mich auf Anhieb wohl hier.






Mittendrin in dieser Szenerie erstrahlt seit den 1990er Jahren der beeindruckende Neubau des Museu d’Art Contemporani de Barcelona. Er erwies sich als Impulsgeber für diverse Veränderungen im Raval. Nun hat das Viertel seine eigenen Ramblas. Bars, Galerien, Buchläden und Vintage-Shops haben hier Einzug gehalten. Und der große Platz vor dem Museum ist fest in der Hand der Skater-Szene.



Nach einem leckeren Mittagessen im Restaurant Biocenter durchquere ich den charmanten Innenhof des ehemaligen Hospitals Santa Creu. Wo einst Antoni Gaudí eingeliefert wurde, nachdem er von einer Straßenbahn überfahren wurde – und leider nicht überlebte -, residieren heute die katalanische Nationalbibliothek sowie eine Kunst- und Designschule.

Am anderen Ende des Hofes wird das internationale Flair des Viertels noch deutlicher sichtbar. In dem schmalen Sträßchen gesellt sich ein Sikh-Tempel zu diversen arabischen und afrikanischen Läden.


Am Ende der kleinen Straße erreiche ich die Ramblas del Raval. Die von zahlreichen Palmen beschattete, 300 Meter lange Flaniermeile wird dominiert von einem überdimensionierten Kater, dessen Körperhaltung ich beim besten Willen nicht deuten kann 😎.

Am Ende der Ramblas del Raval biege ich nach links ab, passiere die Filmoteca de Catalunya (Archiv für Filmkultur) …

… und erreiche wenige Meter weiter wieder die bekanntere Ausgabe der Ramblas. Dort wartet der nächste U-Bahneingang auf mich.

Doch bevor ich mich in den Untergrund begebe, fällt mir am Wegesrand noch eine witzige Szene auf. Dort kniet ein Typ mit einem kleinen, durchsichtigen Werkzeugkoffer. Dieser ist randvoll mit Figuren in der Größe meines Alten Sacks. Eine davon darf nun vor dem Theater an den Ramblas posen. Wie schön, dass noch jemand meinen Spleen teilt, ihn gar noch weiter auf die Spitze treibt!


Zurück zu Stefan in die Wohnung, wo der restliche Nachmittag für eine kleine Siesta herhalten muss. Rechtzeitig vor Beginn der Dämmerung zieht es uns gemeinsam zum Torre Gloriès, den ich euch bereits in diesem Bericht vorgestellt hatte. Heute wird er uns seine abendliche Leuchtkraft präsentieren. So kunterbunt ist er noch schöner als bei Tageslicht!
Während ich nun ohne Kamera unterwegs bin, hat Stefan sein komplettes Equipment dabei und spendiert diesem Bericht zwei seiner Ergebnisse:


Als der Fotograf zufrieden ist, besteigen wir den nächsten Bus in Richtung unseres Zuhauses. Doch bevor wir es uns dort gemütlich machen, mischen wir uns noch eine ganze Weile unter die Umzugs- und Feierwütigen, die den Passeig de Gracia auch am Abend fest in der Hand haben. Hoch lebe das Festival Mercè! Und natürlich auch die berühmte Casa Batlló im Abendlicht. Bis morgen!

Toller Bericht, sehr interessant!
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Freut mich. Danke!
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Bei Foto „ Abgelichtet“, da … sah ich doch glatt Klima-Kleber in Barcelona. Ei, Ei, Ei ..
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Da ist ja mal wieder ordentlich die Fantasie mit dir durchgegangen 😅!
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Tut mir Leid, Großstadt, irgendwann dreht man durch, weisst ja 😉
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Allerdings 😁.
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Die rauen Viertel sind für mich auch die interessantesten. Und dort halte ich mich lieber auf als irgendwo in einer glatt gebügelten Altstadt. Zum Spleen: da hast du den Typen fotografiert, wie er sein Figürchen fotografiert 😉 Zum Umzug: die Puppenfiguren sehen fast so aus wie die Schwellköpfe beim Faschingsumzug in Odenwald…
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Ja, ich mag auch lieber die rauen, ungeschminkten Seiten einer Stadt. @Figurentyp: den fand ich natürlich gleich super 😂! @Schwellköpfe im Odenwald: von denen habe ich noch nie gehört. Vielleicht sollte ich mich doch mal zur rechten Zeit mehr im eigenen Land herumtreiben 😇.
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Herrlich! Die Riesen sind ja witzig, erinnern ein bisschen an Mexiko. Wobei ich mir nicht sicher wäre, wer sich da von wem inspirieren liess.
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Das ist eine berechtigte Frage: wer hat da von wem abgekupfert? Am Ende will es wieder keiner gewesen sein 😁.
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Kulturelle Aneignung 🤭 war früher halt ganz normal.
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