19. September 2022
Heute können wir es gemütlich angehen lassen, denn unser Flug geht erst am Nachmittag. Soweit die Theorie. Die Praxis freilich erweist sich dann als tü(r)ckisch.
Unser restliches Zeug ist schnell gepackt. Und so bleibt auch noch Zeit für einen Besuch in meinem temporären Stammcafé Curve. Danach chillen wir noch ein Weilchen in der gemütlichen Wohnung. Aber unser siebter Sinn flüstert uns, dass wir wohl besser doch ein wenig mehr Zeit für die Abreise einplanen sollten.
Am fortgeschrittenen Vormittag brechen wir deshalb mehr als vier Stunden vor Abflug auf. Hundert Meter die Straße hinunter befindet sich ein bemannter Taxistand. Dort sind wir in den vergangenen Tagen viele Male vorbeigelaufen. Immer standen Taxis da. Heute aber herrscht gähnende Leere.
Wir sprechen den Typen im Dienst an, der, ihr ahnt es schon, kein Wort Englisch spricht, aber sich natürlich denken kann, was zwei Ausländer mit Gepäck von ihm wollen. Er redet auf Türkisch auf uns ein und macht uns gestenreich klar: kein Taxi in Sicht. Jetzt nicht und in absehbarer Zeit wohl auch nicht. Wir mögen doch einfach ein vorbeifahrendes Taxi anhalten.
Haha, sehr witzig! Denn die sind entweder schon mit Fahrgästen belegt, oder reserviert und/oder der Fahrer spricht kein Wort Englisch, was ja eher die Regel als die Ausnahme ist. Wir versuchen es natürlich trotzdem.
Doch das Wort Airport aus dem Munde zweier Ausländer mit Gepäck löst bei den Taxifahrern, denen wir mutig vors Auto springen, keinerlei Assoziationen, sondern nur einen ratlos klingenden Schwall türkischer Wörter aus. Zudem gibt es zwei internationale Flughäfen in Istanbul, und wir würden gerne an dem richtigen, nämlich dem neuen, landen. So geben wir nach wenigen Versuchen auf.
Zurück zur Wohnung. Die Rezeption ist zum Glück um diese Uhrzeit besetzt. Einer der beiden netten Mitarbeiter ruft dann einem vorbeifahrenden Taxifahrer etwas Einschlägiges zu und regelt alles für uns. Denn auch dieser Fahrer spricht nur Türkisch.
Nachdem wir nun schon wertvolle Zeit verloren haben, bis wir überhaupt in einem Taxi sitzen, geht es jetzt schnell voran. Zumindest sobald wir das enervierende Gegurke durch die immer verstopften Gassen in der Altstadt hinter uns gelassen haben. Unser unfreundlicher, uns keines Blickes würdigender Fahrer, ein wahrer hell driver, fährt – kein Witz! – einmal sogar über mehrere flache Treppen. Nein, nicht, weil er uns einen Gefallen tun und uns flott ans Ziel bringen will (er versteht uns ja eh nicht, im wahrsten Sinne des Wortes), sondern weil er eben so fährt, wie man hier fährt.
Auf der Autobahn wechselt er bei hoher Geschwindigkeit permanent und wild die Spuren, während er abwechselnd Nachrichten schreibt und telefoniert. Nein, natürlich nicht über eine Freisprechanlage, sondern mit dem Gerät in der Hand. Eine Hand am Lenker reicht ja völlig aus. Muss ich erwähnen, dass es für die beiden Fahrgäste hinten keine Gurte gibt? Ich denke nicht. Passt ihm irgendwas nicht in den Kram, bedient er sich der Sprache, die in Istanbul jeder versteht: Hupen!
Dank der Raserei in Rekordzeit am Flughafen angekommen, ist der Spaß noch nicht vorbei. Als es ans Bezahlen geht, macht er uns klar, dass wir nicht mit Kreditkarte zahlen können. Angeblich hat er kein Lesegerät, was ich nicht glaube. In Istanbul kann man wirklich so gut wie überall mit Kreditkarte zahlen. Was das anbetrifft, ist die türkische Metropole deutlich fortschrittlicher als jede deutsche Großstadt. Stattdessen will er Bargeld. Was wir wiederum nicht (mehr) haben, zumindest nicht in der Landeswährung. Den überschaubaren letzten Rest türkischer Lira haben wir längst ausgegeben.
Mangels gemeinsamer Sprachebene verläuft die Verhandlung etwas mühsam, obwohl der Preis dank des eingeschalteten Taxameters ja feststeht. Er will partout keine Euros und versucht, uns unter Zeitdruck zu setzen, indem er uns gestenreich und penetrant klarmacht, dass die Polis bald auftauchen wird, weil er gerade in zweiter Reihe parkt.
Stefan versucht im Handumdrehen, im Flughafengebäude Lira zu tauschen, was aber so schnell nicht funktioniert. Nach einigen Minuten sehe ich, wie er sichtlich genervt und unverrichteter Dinge wieder aus dem Eingangsgebäude stürmt. Und dann reicht’s mir! Ich ziehe einen 20-Euro-Schein aus dem Portemonnaie und halte ihn dem Fahrer hin. Er schaut mich bestürzt an, doch ich bin nicht mehr bereit, in diesem Zirkus weiter aufzutreten.
Ich zeige abwechselnd auf sein Handy und auf den Schein. Es kann doch nicht so schwer sein, den Wechselkurs zu checken! Der Typ ist definitiv unter 30 und gehört demnach zur Generation Handy, was er uns auf der Fahrt zum Flughafen schon eindrucksvoll bewiesen hat.
Und weil ich so energisch und mittlerweile auch mit nicht mehr ganz so freundlichem Tonfall verbal auf ihn eindresche, gibt er schließlich nach. Resigniert und mit der Kinnlade fast auf dem Boden steckt er den Schein ein. Und wir sind freigekauft und dürfen endlich unserer Wege ziehen. Das Kuriose an der Geschichte: das Taxameter zeigte einen Preis von 300 Lira. Meine 20 Euro sind zu dem Zeitpunkt 360 Lira wert. Und Wechselstuben gibt es in Istanbul wie Sand am Meer. Uns bleibt deshalb ein Rätsel, weshalb er sich so vehement gewehrt hat.
Trotz all der Kapriolen betreten wir dann doch noch fast drei Stunden vor Abflug den Flughafen. Dort wartet dann aber ein recht langwieriges Procedere auf uns. Gepäck und Bordkarten werden gleich doppelt an zwei unterschiedlichen Stellen kontrolliert. Deshalb schaffen wir es trotz der großzügigen Zeitplanung gerade noch so, unseren Flieger zu bekommen. Erleichtert sinken wir in unsere komfortablen Sitze am Notausgang der Maschine von Turkish Airlines und starten pünktlich gen Westen.
Nach rund dreieinhalb Flugstunden landen wir am späten Nachmittag in Barcelona und besteigen das nächstbeste Taxi. Kein langwieriges Suchen, keine Kommunikationsprobleme, kein Höllenritt über die Straßen der Stadt, kein Gezeter beim Bezahlen mit Kreditkarte, dafür eine große Portion Freundlichkeit. Das Leben kann so einfach sein!
Als wir unsere Bude an der Avenida Diagonal betreten, sind wir spontan total begeistert. Hier lässt es sich aushalten 😎.






Nach einem externen Abendessen und einem ersten kleinen Einkauf kehren wir gleich in unser neues Zuhause zurück und machen es uns dort gemütlich. Heute werden wir nicht alt! Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.
Oje, da hat euch Istanbul ja ganz am Schluss noch ein paar Scherereien gemacht. Ich kann nur spekulieren, was der Taxifahrer für ein Problem gehabt haben mag. Ein Problem mit den Taxis hatten wir am Abflugtag ebenfalls, die waren einfach nicht vorhanden, es war auch mitten in der Nacht. Wir haben vielleicht das letzte Taxi gekriegt in ganz Istanbul. Es sollte eigentlich ein Transfer vom Hotel aus gestellt werden, doch der Manager meinte einfach, sie hätten kein Auto zur Verfügung, und basta. Später wurde meine Freundin via Whats App bedroht (sie hatte dem Hotel eine schlechte Bewertung ausgestellt…).
Doch wir haben so viele positive, freundliche und hilfsbereite Menschen kennen gelernt, dass wir dennoch mit einem guten Gefühl nach Hause geflogen sind. Es ist nur, wie ich schon sagte: Istanbul ist abgehackt, next one! Und du hattest Recht, die Sprachkenntnisse meiner Freundin haben uns unter Umständen die eine oder andere Tür geöffnet.
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Ja, ich erinnere mich noch gut an deine Story mit der Abreise. Erst kein Transfer zum Airport, und dann noch der Stress mit dem Umpacken des Gepäcks 😅. Dass deine Freundin im Nachhinein auch noch bedroht wurde, ist natürlich echt ein Hammer 😱.
Uns sind auch viele freundliche Menschen in Istanbul begegnet. Deshalb bin auch ich geneigt, den nicht so guten Begegnungen nicht so viel Bedeutung beizumessen. Die Taxistory am Schluss war in unseren Augen halt besonders schräg. Deshalb habe ich sie hier zum Besten gegeben. Und ja, auch für mich ist Istanbul abgehakt. War schön, reicht aber. Auf zu neuen Ufern!
Ja, deine türkische Freundin war ein definitiv ein Türöffner. Nicht nur, weil die Sprachbarriere wegfiel, sondern weil sie die Mentalität der Leute auch viel besser einschätzen konnte. Wenn man weiß, wie Menschen ticken, fällt der Umgang mit ihnen viel leichter. Eine andere Art von Türöffner hatte eine Freundin von mir im Schlepptau. Sie reiste vor einigen Jahren mit ihrem Partner und dem damals einjährigen Sohn nach Istanbul. Und die Wirkung eines kleinen, strohblonden Jungen hat ihr den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung auch drastisch vereinfacht, auch wenn das Sprachproblem dadurch nicht gelöst war😅.
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Okay, dann sollte ich das nächste mal mit einem geborgten, blondem Kind verreisen, ist notiert 😉
Dass der Fahrer sogar eine Treppe mitnahm, das war natürlich Bond-verdächtig. Hm – Spezialagent undercover? 😉
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@Kind: genau! Allerdings solltest du darauf achten, dass eine Rückgabegarantie vereinbart ist 😁. @Bond: gut möglich! Dem Typen war alles zuzutrauen.
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Taxifahrer; na Servas, da braucht man extrem gute Nerven!
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Absolut!
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Wann bist Du eigentlich mal zuhause?
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Viel zu oft für meinen Geschmack 😅. Aber Spaß beiseite: ich glaube, es wirkt deshalb so, weil meine Berichterstattung erstens zeitversetzt kommt und sich zweitens immer etwas hinzieht. Ich veröffentliche meine Beiträge ja mit jeweils mehreren Tagen Pause dazwischen. Konkretes Beispiel: Meine Berichterstattung über Istanbul zog sich über einen ganzen Monat. Dabei waren wir dort nur 10 Tage.
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Ja dann will ich mal ein Auge zudrücken 🤔.
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😂👍😁
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Auch wenn wahrscheinlich jetzt alle die neue crazy Taxi Driver-Verfilmung am Schluss ansprechen, kommentier‘ ich sie auch nochmal. Erinnert mich an einen Höllentrip per Taxi in Prag, tausend Jahre her. Den Ihr in Instanbul aber jetzt meilenweit (😉) getoppt habt. Ich dachte nämlich bis eben, dass mein Bond-Double am Taxameter nicht zu toppen sei 😳🤷♂️ Ähnlicher Fahrstil, fast mit Powerslides um Ecken. Aber es war auch wirklich überall Stau, wo wir durchwollten. Und die Zeit zum Flieger eng. Andererseits war trotz Sprachbarriere (very little english) mein hell driver im Skoda freundlich, entspannt, ohne handy am Finger, und zum Glück hatte ich Kronen (die tschechischen) 😉
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Na da biste ja noch glimpflich davon gekommen damals Prag 😁.
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Taxifahrer. In manchen Ländern einfach nur ein pain in the ass. Dass ihr nun schon gar nicht mehr nach Hause fliegt zwischen zwei Urlauben, finde ich nachahmenswert.
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Ja, Berlin wäre einfach ein wenig zu weit ab von der Strecke gewesen 😇.
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