14. Februar 2020
Manche Busse sind innen mit einer digitale Anzeige ausgestattet, die den Streckenverlauf und die kommenden Haltestellen nicht nur auf hebräisch und arabisch, sondern auch auf englisch verrät. Bei einigen Bussen ist diesbezüglich jedoch Fehlanzeige. Wie gut, dass ich mich mittlerweile ganz gut auskenne 😎.
Und so steige ich in eine der zahlreichen Buslinien, die fast direkt vor meinem Hotel halten. Auf meine Rav-Kav-Karte hatte ich mir vorher in der nächstbesten Drogerie ein neues Guthaben aufladen lassen. Für alle, die noch nicht in Tel Aviv waren, aber in naher oder ferner Zukunft eine Reise dorthin planen: das geht auch in vielen Supermärkten und an kleinen Kiosken überall in der Stadt.
Was mir auf der kurzen Fahrt zu meinem ersten Ziel beim Blick aus dem Fenster zum wiederholten Male auffällt, sind die vielen gesonderten Radspuren, die sich quer durch Tel Aviv ziehen. Insgesamt wurden bisher schon weit mehr als 100 Kilometer gut ausgebaute Radwege angelegt. Häufig geschah und geschieht dies auf großzügigen und breiten, gesonderten Trassen. Sehr löblich! Entsprechend sind hier eine Menge Fahrradfahrer unterwegs.
An der Ecke King George und Allenby Street steige ich aus. Es ist Freitagvormittag, und ich bin wild entschlossen, mich vor der religiös motivierten Schabbatruhe, die schon heute Nachmittag einsetzen wird, ins lebhafte Gewusel des Carmel Markets zu werfen. Doch zuerst betrachte ich in aller Ruhe die durchaus sehr unterschiedliche Architektur an besagter Straßenecke.


Der Markt liegt im an sich recht ruhigen und entspannten Viertel Kerem (HaTeimanim). Dessen Name verweist einerseits auf die jemenitischen Juden, die sich hier schon vor langer Zeit angesiedelt hatten – und andererseits auf die Weinstöcke, die hier einst wuchsen. Das Viertel ist mittlerweile recht stark durchgehipstert und dennoch weiterhin eine tradtitionell orthodoxe Misrachi-Nachbarschaft geblieben.
Doch jetzt wollt ihr sicher erst einmal den Markt sehen und riechen, oder? Hinein mit uns in die rappelvollen, schmalen Gassen! Gedränge und Sozialstudien schließen sich nicht aus. Billige Klamotten, Früchte und Gemüse in allen erdenklichen Reifegraden, Fleischwaren, Milchprodukte, Süßkram wie Halva und honigtriefende Baklava, Kräuter, Saft- und Falafelstände, kuriose Eisbuden, dazwischen Souvenirs – es gibt nichts, was es hier nicht gibt! Und obwohl der Markt mittlerweile recht touristisch geworden ist, so hat er doch scheinbar wenig bis nichts von seinem bodenständigen, authentischen Flair eingebüßt. Auch die Nase kommt hier voll auf ihre Kosten!





Am unteren Ende der Carmel Street endet auch der Markt. Ich nehme die nächste Querstraße, um zur Nahalat Binyamin Street zu gelangen. Auf dem ersten Abschnitt ist sie weniger interessant, doch das wird sich im weiteren Verlauf ändern. Ich biege an passender Stelle erst einmal rechts ab, um die nahe gelegene Große Synagoge bei der Gelegenheit gleich „mitzunehmen“. Insgesamt gibt es übrigens im so säkular anmutenden Tel Aviv mehr als 500 aktive Synagogen.

Der nette Herr am Eingang zum Innenraum heißt mich herzlich willkommen, singt ein Gebet für mich und lädt mich für den Gottesdienst um 17 Uhr ein. Ich spende ein paar Schekel für den Erhalt der Synagoge und trete dann ein. Keine Gepäckkontrolle. Wie ungewohnt! Und zugleich beschämend, dass das zuhause in Berlin aus ernstzunehmenden Gründen immer noch beziehungsweise schon wieder nicht möglich ist.


Zurück Richtung Binyamin Street. Weit komme ich nicht, denn das originelle Bike Café in der Montefiore Street lockt mich mit verführerischem Kaffeeduft in den kleinen Laden, der gleichzeitig Verkaufsbereich und Reparaturwerkstatt ist. Und so genieße ich erst einmal den köstlichen Kaffee und plaudere ein Weilchen mit dem kommunikativen Inhaber, bevor ich meinen Weg fortsetze.
Zurück in „Downtown“ Kerem. Es gibt hier eine Menge schicke Cafés und Restaurants, originelle Läden, schöne Gebäude und auch ein wenig Street Art. Das Publikum ist bunt gemischt. Am heutigen Freitag gesellt sich wie auch jeden Dienstag ein Markt mit allerlei Kunsthandwerk dazu. Hier ein paar Eindrücke:












Mittagessen auf dem Platz hinter der King George Street, der pulsierenden Hauptschlagader, die quer durch das Herz der Stadt führt. Gut gesättigt laufe ich ein wenig kreuz und quer durch die umliegenden Gässchen und lande nicht ganz zufällig in der Bialik Street, an deren Ende sich das Haus des Dichters Chaim Bialik befindet. Heute beheimatet es ein Museum.

Da das Museum in Kürze schließt, verweile ich nicht sehr lange in der ruhigen Oase des Platzes und laufe zurück zur belebten Kreuzung Allenby/ King George/ Sheinkin. Dort stelle ich mich eine Weile hin und setze meine Sozialstudien fort. Von orthodoxen Juden über Punks, „Normalos“ und Touristen bis hin zu schrillen LGBTQs ist alles dabei. Erstere sind dabei eindeutig in der Minderheit. Denn wir sind hier ja nicht im heiligen Jerusalem, sondern im modernen Tel Aviv. Nur knapp 70 Kilometer trennen die beiden Städte. Doch gefühlt soll es sich wohl um Lichtjahre handeln.
Anschließend laufe ich die Sheinkin Street hoch, die auf eine lebhafte Geschichte zurückblicken kann. Ursprünglich war sie die Heimat vieler polnischer Juden, Handwerker und Händler. Ab den 1930er Jahren dann avancierte sie zum Zentrum künstlerischen Lebens. Anschließend stand sie für die linksorientierte, künstlerisch-intellektuelle Avantgarde der Stadt. In den 1980er Jahren dann wurde sie erfolgreich als Bohème-Quartier lanciert. Mir als heutiger Besucherin präsentiert sie sich als extrem vielseitige Straße, in der es eine Menge zu sehen und zu hören gibt.





Mehr als tausend Worte und meine fünf Fotos jedoch sagt dieses gelungene Zwei-Minuten-Video. Schaut es euch unbedingt an!
An ihrem östlichen Ende stößt die Sheinkin Street auf den Rothschild Boulevard. Den habe ich euch bereits im Bericht zu Tag 3 vorgestellt. Ich laufe ihn – mal wieder – ganz hinunter. Er lohnt jede Wiederholung! An seinem Ende banne ich noch diverse Hochhäuser auf den Speicherchip, …



… um dann wenig später etwas enttäuscht vor der Independence Hall zu stehen, die zur Zeit umfangreich saniert wird. Doch irgendwann wird sie wieder in vollem Glanze erstrahlen!


Meinen letzten Stopp für heute lege ich am ehemaligen Wohnhaus von Arie Akiva Weiss ein. Arie wer? Kurz und knackig auf den Punkt gebracht erfahrt ihr in diesem Bericht etwas von ihm. Heute gilt das Gebäude als eines der schönsten und mit am besten erhaltenen Gründerhäuser.

Genug für heute. Mein Plan ist, mich nun vom nächsten Bus ins Hotel zurückbringen zu lassen. Doch ich habe mich verkalkuliert! Es ist Freitagnachmittag nach 16 Uhr, und zumindest die öffentlichen Verkehrsmittel haben sich schon in den nahenden Schabbat verabschiedet. Und so warte ich vergeblich auf den Bus. Auch etwa zehn Versuche, auf der Straße ein Taxi anzuhalten, scheitern. Ein solches hätte ich wohl vorbestellen müssen.
Es ist nicht arg weit bis zum Hotel, aber meine Füße hätten nach dem Programm heute gerne auf die zusätzlichen drei Kilometer verzichtet. Doch es hilft alles nichts. Irgendwie muss ich ja zurückkommen. Auf das halbe Stündchen kommt es jetzt auch nicht mehr an 😅.
Und so laufe ich in die kurze Dämmerung und schnell einsetzende Dunkelheit hinein. Man kann förmlich sehen und hören, wie die Stadt immer stiller und leerer wird. Nur noch ein paar Cafés und Restaurants sind geöffnet. Doch in anderen Städten des Landes macht sich der Schabbat sicher deutlich stärker bemerkbar als hier.
Schnell hole ich mir noch was zu essen im Supermarkt um die Ecke und lümmele dann faul im Hotel herum. Bis morgen!
stahl und glas “ sehr beeindrucken aber auch entwaffneter Charme gefällt mir super ! Viel Spaß noch !
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Danke, Manni. Freut mich! Der Spaß ist übrigens leider schon länger vorbei. Ich war ja bereits Mitte Februar dort.
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ja sei froh dass du wieder zuhause bis !
Der Beitrag würde sehr gut zu meinem derzeitigen Fotoprojekt passen. Wenn du Lust hast kannst ja mal schauen
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Ja, da bin ich auch froh drüber! @ Fotoprojekt: da schaue ich morgen gerne mal in Ruhe rein!
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Danke und zwei habe ich gerade am laufen
Sonnenuntergang
Und Architektur
Weitere werden folgen
Würde mich freuen wenn du mitmachen würdest
Vg Manni
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…und neu ssah 2017 noch ziemlich abrissreif aus, schön das mittlerweile so viel restauriert wurde. 2012 war TA erschreckend heruntergekommen, damals kam mit der Hype übertrieben vor. 2017 konnte man erkennen, das Geld imvestiert wird und nun seine Vollendung findet, sehr schön.
LG Sandra
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Da fehlt mir ja der Vergleich. Aber offenbar habe ich da jetzt eine gute Zeit erwischt, auch wenn weiterhin noch einiges zu tun ist in der Stadt.
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Coole Bilder vom Carmel Market!👍 Ich habe ihn ja nur kurz vor der Schließung und am Shabbat-Samstag erlebt – also fast leer! Genauso geht’s mir mit den Bildern vom Kunstmarkt, „Ordentlich was los“ und „Schöner Wohnen“. Heiliger! Das war ja richtig voll bei dir. Ich stand mit Mika komplett allein in diesen Straßen.😂 Der Shabbat ist schon echt krass. So etwas gibt’s hier gar nicht. Nicht mal an Feiertagen. Vieles aus diesem Bericht kommt mir sehr vertraut vor, da das ja mein Hotel-Kiez war. Ich fand es dort richtig klasse!
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Ja, bei uns sind die Feiertage halt nicht mehr ganz so heilig. War jedenfalls mal eine interessante Erfahrung, die mir aber nur am Freitagnachmittag und am Shabbat unten in den kleinen Gässchen am Fuße von Jaffa zuteil wurde. Am Strand und am Hafen tobte das Leben! Und ja, die Gegend, in der dein Hotel war, fand ich auch gut.
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