Ich hatte schon so manches über den Mistral gehört. Und insgeheim dachte ich mir meist: „Was machen die nur immer so ein Drama um ein laues Lüftchen!“ Heute jedoch habe ich es verstanden. Ein komplett wolkenloser Himmel, eine mehr als ordentliche Brise, gepaart mit akutem Temperatursturz: Vorhang auf für den gefürchtetsten aller Mittelmeerwinde! Beachtet bitte die Windgeschwindigkeit in der letzten Zeile 😅.

Trotzdem bleibe ich bei meinem Plan, mich ans Wasser zu wagen. Rein in den 83er Bus Richtung Corniche, in Endoume wieder raus. Ich lasse mich buchstäblich durch die kleinen Gassen dieses charmanten Viertels …

… in Richtung Wasser treiben. Dort angekommen, werde ich in die Schranken gewiesen. Unmöglich, mich dort auf den Beinen zu halten, geschweige denn, an dem schmalen Ufer lustwandeln zu können! Ich genieße ganz kurz den Ausblick, …

… und trete dann den Rückzug an. Ein Anwohner, mit dem ich ins Gespräch komme, rät mir, zur Anse de la Fausse Monnaie zu gehen, da diese besser vor dem Wind geschützt sei. Nein, ich habe mich nicht verhört. Die Ecke heißt tatsächlich „Falschgeldbucht“. Beim Bau des Viaduktes über besagte Bucht wurden Teile des Equipments zur Herstellung von Falschgeld gefunden. Daher der Name.

Auf dem Weg dorthin nehme ich gleich noch die Anse de Maldormé mit, die ebenfalls mit einer geschützten Lage gesegnet ist.

Weiter entlang der insgesamt vier Kilometer langen Promenade. Die Corniche von Marseille wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts angelegt und bekam Anfang der 1960er Jahre den Namen des seinerzeit ermordeten US-Präsidenten.

Ein letzter Blick auf die Falschgeldbucht, …

… und schon verschwinde ich wieder im nächsten 83er Bus. Diese Linie ist eigentlich unbezahlbar. Fährt sie doch die komplette Strecke der Corniche entlang, an deren Ende sie dann wieder Richtung Stadt abbiegt. Und so komme ich in den Genuss, auf bequeme, windstille Weise die Küste der Stadt zu bewundern.

Noch mehr hätte ich gesehen, wenn mich meine einheimische Sitznachbarin nicht in ein nettes Gespräch verwickelt hätte. Doch das gehört dazu! Und ich freue mich natürlich immer, wenn ich mein etwas eingerostetes Französisch wieder auf Vordermann bringen kann.

Kaum sind wir Richtung Stadt abgebogen, verlässt mich die nette Dame, um im Park Borély dem Thai Chi zu frönen. Wenig später erreicht der Bus seine Endhaltestelle an der Metrostation Rond-Point du Prado. Dort wartet das Stade Vélodrome auf meinen Besuch. Zumindest hatte ich das gehofft! Doch da heute Abend ein Spiel stattfinden wird, ist das komplette Areal bereits an diesem späten Vormittag abgeriegelt. Schade! Und so bleibt mir nur der Frontalanblick dieses architektonischen Sahnehäubchens.

Velodrom und Spiel 🧐? Nun, gebaut wurde die Sportanlage tatsächlich als Radstadion. In den 1930er Jahren wurde sie dann zur Fußballarena umgebaut. Doch der Name blieb. Dieses nach dem Stade de France zweitgrößte Fußballstadion Frankreichs ist das sportliche Zuhause des legendären Clubs Olympique de Marseille. Doch auch die Rugbynationalmannschaft spielt hier.

Olympique ist die beliebteste und erfolgreichste Mannschaft des Landes. Als bisher einziges Team Frankreichs gelang ihnen auch einmal der Gewinn der Champions League. Das war 1993. Lang, lang ist’s her! Der berühmteste Fußballsohn der Stadt, Zinédine Zidane, spielte in seiner Karriere übrigens nie für seine Heimatstadt. Bevor er ins Ausland wechselte, wo er bis zu seinem Karriereende blieb, spielte er in Cannes und Bordeaux. Doch ich schweife ab.

An der gleichen Straße, etwa zehn Fußminuten weiter östlich, liegt mein nächstes Ziel. Auf dem Weg dorthin betrachte ich noch den einen oder anderen Neubau an der Strecke.

Und dann stehe ich vor der Cité Radieuse (Strahlende Stadt), dem berühmten Betonkoloss des Architekten Charles-Edouard Jeanneret, besser bekannt als Le Corbusier. 1952 erbaut, bietet der voluminöse Bau Platz für 337 Apartments, Läden, Büros, ein Restaurant und ein Hotel. Auf der Dachterrasse ist das MAMO, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst. Insgesamt leben rund 1.300 Menschen hier, und das wohl sehr gerne, wie man hört.

Le Corbusiers Vorstellungen von Stadtplanung und Wohnungsbau hier näher auszuführen, würde den Rahmen sprengen. Konkret zu der Cité Radieuse gibt es jedoch einen sehr guten Artikel des „Spiegel“. Wer mag, kann sich dort über die Details informieren. Ich beschränke mich derweil auf die Äußerlichkeiten.

Das dritte und vierte Stockwerk sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Hier befinden sich Büros und das Restaurant.

Und dann steige ich der Bude aufs Dach! In 60 Metern Höhe genieße ich erst einmal den formidablen Blick auf die Stadt, das Meer und -Tusch! – auf das Stade Vélodrome, das mich unten auf dem Boden der Tatsachen heute verschmähte.

Ich kann mein Glück übrigens kaum fassen, dass ich die kreativ gestaltete Terrasse an diesem frühen Sonntagnachmittag nur mit einer Handvoll anderer Besucher teilen muss. Ich hatte insgeheim ja schon mit einem Massenandrang an dieser bekannten Stätte gerechnet. Hier nun meine fotografische Ausbeute, bei der ich mal ein wenig mit der Farbgestaltung gespielt habe.

Wieder unten, geht es mit dem Bus zurück zum Strand. An diesem krass stürmischen Tag ist am Abschnitt namens Parc Balnéaire du Prado so gut wie nichts los. Dieser Strand wurde der Stadt übrigens nicht in die Wiege gelegt, sondern künstlich angelegt. Das fein vermahlene Gestein, das beim Bau der beiden U-Bahnlinien abfiel, wurde kurzerhand hierher verfrachtet. Eine schlaue Maßnahme! Denn was nützt dem Volk Sonne und Meer, wenn keine Fläche zum Verweilen, Spielen und Flanieren da ist?

Jetzt meldet sich der Hunger. Bei „Davids“ nehme ich mit Blick auf selbigen mein Mittagessen ein, …

… und mache dann gleich ein wenig Strecke, um die Kalorien ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen: Energieumwandlung statt Hüftgold 😅!

Ich durchquere den Park Borély, …

… und bereue fast, nur wegen eines winzigen Körperteils so weit zu laufen. Denn die nach dem Park etwas öde Strecke bis zu diesem Kunstwerk von César zieht sich dann doch eine ganze Weile. Endlich dort angekommen, bereue ich es aber nicht, die Durststrecke in Kauf genommen zu haben.

Mit Bus, Metro und Tram ans andere Ende der Stadt. Endstation Arenc Le Silo. Die Ecke kennt ihr schon von Tag 2b. Vorgestern hatte ich drei Gebäude vernachlässigt. Nun ist Wiedergutmachung angesagt.

Den stürmischen Wind hatte ich abseits der Küste schon fast wieder vergessen. Doch hier in unmittelbarer Hafennähe tobt er um die Hochhäuser umso heftiger. Fast hätte ich es aufgegeben, um „La Marseillaise“ von Jean Nouvel zu schleichen. Denn ich kann mich kaum auf den Beinen halten! Das Foto, das jetzt kommt, bekam ich nur einhändig in den Kasten, weil ich mich gleichzeitig mit der linken Hand am benachbarten Geländer festkrallen musste. Ansonsten wäre ich trotz meines passablen Kampfgewichtes quer über die Straße gefegt worden.

In unmittelbarer Nachbarschaft thront Zara Hadids CMACGM Tower, der wie viele andere Neubauten im Hafenareal im Zuge der Euroméditerranée entstand.

Der sehenswerte Turm beherbergt das Headquarter eines großen Unternehmens für Schiffscontainer. Passend zum Thema flankiert eine originelle Skulptur das Gebäude auf der Rückseite. Die beiden Sumo-Ringer haben euch schon auf dem heutigen Titelbild begrüßt. Hier geben sie euch noch eine Zulage!

Ich kämpfe mich zurück zur Tramhaltestelle. Zwei Stationen weiter mache ich noch dem FRAC (nein, ich habe kein „K“ vergessen) meine Aufwartung. Die Abkürzung steht für Fonds Régional d’Art Contemporain. Der FRAC ist eine Art Kette von Galerien, die im ganzen Land zu finden sind. Sonderausstellungen zeitgenössischer Kunst ziehen hier ein großes Publikum an. Der Japaner Kengo Kuma hat der Stadt ein wahrlich schönes Gebäude kreiert. Die von Hand emaillierten weißen Glastafeln an der Fassade wirken wie freischwebende Blätter!

Die nächste Tram bringt mich zurück ins Hotel, wo ich den Tag ruhig ausklingen lasse. Fortsetzung folgt!

4 Gedanken zu “Tag 4: Marseille – Vom Winde verweht

  1. puh was soll ich hier schreiben ! Text wie immer und super architektonische Aufnahmen. Die gefallen mir sehr gut ! Was ich auch auf einem Foto entdeckt habe ist eine Frau mit schwarzen Haaren die ganz schön mit dem Wind zu kämpfen hat. Also wieder alles sehr gut und besser kann man es nicht machen.
    ps. Das Stadion ist natürlich auch sehr schön besonders von der Terrasse aus !!!!

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    1. Danke! Freut mich, dass dir der Beitrag gefallen hat 😎. Ja, an den Haaren der Frau im Hintergrund kann man den Wind wirklich gut erkennen. Gott sei Dank! Wo ich doch schon ein Selfie vergessen habe …

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  2. Oha, da hast du aber ganz schön Strecke gemacht. Von dem einem Hochhaus die weiße Außentreppe hat mich ganz kirre gemacht…synchron und auch wieder nicht. Der Park vor den Bergen bot ja wirklich eine schöne Kulisse. Mir gefällt dieser CMACGM Tower sehr! Tolles Teil. Der Velodrom sieht von oben auch klasse aus. Was hat es mit diesem Betonklotz auf sich? Der Blick vom Dach ist ja ganz cool, aber sonst ist der Block ja nicht sonderlich sehenswert, möchte ich meinen. Der Wind ist für uns geneigte Leser natürlich nicht zu sehen. Hier wäre in der Tat wohl mal ein Selfie angebracht gewesen: Elke mit wehendem Haar!

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    1. Ja, die weiße Wendeltreppe ist wirklich raffiniert! Und vermutlich wird sie nie ernsthaft benutzt 😅. Zara Hadids Tower gefiel mir auch ausnehmend gut. Zum Betonkoloss von Le Corbusier empfehle ich dir, den Spiegelartikel zu lesen, den ich im Bericht verlinkt habe. Das Teil hat einige Besonderheiten zu bieten. Vor allem, wenn man bedenkt, aus welcher Zeit es stammt. Ich finde die Architektur ja auch sehenswert. Aber kurz und knapp auf den Punkt kann ich es schlecht zusammenfassen. Stimmt, ein Selfie hätte ich wirklich mal machen können 😅. Aber zum Glück wehen die Haare einer fremden Dame auf einem der Fotos von der Dachterrasse repräsentativ in der Gegend herum!

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