17. Juni 2021
Außerhalb meines Hotelzimmers droht mir an diesem Morgen keine Dusche von oben. Doch die Luft dampft noch vom gestrigen Gewitterabend. Immerhin hat es sich auf angenehme 21 Grad abgekühlt.
Heute gehe ich es etwas gemütlicher an. Mein Rendezvous mit der zerknüllten Blechdose ist erst auf den späten Vormittag terminiert. Und so drehe ich in aller Ruhe eine kleine Runde entlang der Mazarredo Zumarkalea, die sich bogenförmig bis zur Haupteinkaufsmeile Gran Vía zieht.


Ein durch und durch menschliches Bedürfnis treibt mich ins Innere des Bahnhofs Estación de Abando. Und siehe da: was von außen so unscheinbar daher kommt, hat durchaus ansprechende innere Werte! Es dauert dann auch ein Weilchen, bis ich die Details der 250 Quadratmeter großen Glaskunst an der Stirnseite des Kopfbahnhofs gebührend in Augenschein genommen habe.


Zurück über den schon vertrauten Uferweg. Nach einem kurzen Stopp im Hotel laufe ich gegen Mittag die überschaubaren 300 Meter weiter zum Guggenheim Museum. Das Wetter hält, was meine App verspricht: zarter Nieselregen setzt ein. Perfekt für einen Museumsbesuch! Gestern hatte ich mir online ein Ticket mit Zeitfenster unter den virtuellen Nagel gerissen. Es ist nur wenig Andrang, und die Situation entsprechend entspannt. Ich komme ohne Wartezeit rein. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass momentan sowieso nur einem Drittel der sonst zulässigen Besuchermenge Einlass gewährt wird.
So, und nun löse ich mein im Beitrag zu Tag 2 gegebenes Versprechen ein und verliere ein paar Worte zum Star der Stadt. Schon mal was vom Bilbao-Effekt bzw. Guggenheim-Effekt gehört? Nein? Gemeint ist Folgendes: Man nehme eine eher unspektakuläre Stadt, werte sie mit einem aufsehenerregenden Gebäude auf und lenke darüber die touristische Aufmerksamkeit auf den gesamten Ort. Kurz: Architektur und Kunst haben Einfluss auf ein Reiseziel. Hört sich einfach an, muss man aber erst mal drauf kommen und dann auch so umsetzen. So geschehen in Bilbao, auf das seit Eröffnung des Guggenheim Museums 1997 ein bis dato nicht bekannter Run einsetzte, der bis heute anhält.
Ist so etwas erst einmal buchstäblich ins Laufen gekommen, zieht das weite Kreise. Architektonisch, wirtschaftlich, kulturell und touristisch. So hat das Guggenheim Museum weitere Projekte nach sich gezogen, die das Stadtbild nachhaltig verändert haben und Besucher anlocken. Nach dem Ende des industriellen Booms auf Kultur zu setzen war ziemlich mutig, ist aber voll aufgegangen.
Zum Museum selbst: das „Mutterhaus“ des Guggenheim steht in New York. Ebenso wie dieses ist sein Ableger in Bilbao aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. In den gut zwei Jahrzehnten seines Bestehens hat es mehr als 22 Millionen Besucher empfangen und rund 10.000 Arbeitsplätze geschaffen. Wenn nicht gerade ein Virus die Welt auf den Kopf stellt, wickeln sich bis heute endlose Warteschlangen um den spektakulären Bau, um endlich hineingelassen zu werden.
Mit der asymmetrischen Titanfassade hat sich der Architekt Frank O. Gehry wieder einmal selbst übertroffen. Das Gebäude stellt ein am Ufer des Nervión gestrandetes Schiff dar. Damit schlägt der Bau auch gleich geschickt einen Bogen zur Vergangenheit der Stadt als Industriestandort mit Hafen.
Was außen so eine beeindruckende Wirkung auf die Betrachter entfaltet, wirkt jedoch im Inneren … Hm, wie soll ich es ausdrücken? Etwas verschachtelt und unübersichtlich! Das trifft es glaube ich ganz gut. Nicht, dass es mir nicht gefallen hätte! Aber mit der äußeren Hülle kann die Innenarchitektur nicht ganz mithalten. Dennoch bietet sie interessante und schöne Perspektiven, vor allem im Treppenhaus und in der zentralen Eingangshalle mit ihren imposanten 55 Metern Höhe. Hat was, oder?







Auf drei Etagen verteilen sich 20 Ausstellungsräume (davon jeweils zehn rechteckig und geschwungen konstruiert), die durch Treppen, Brückenstege und Glasfahrstühle miteinander verbunden und verschachtelt sind. Teilweise sind sie durch Glaswände voneinander getrennt, so dass man von einem in den anderen Raum schauen kann. Wie bereits angedeutet, wirkt das Ganze etwas unübersichtlich. Doch zum Glück werden die verwirrten Besucher mit Hilfe von auf den Boden geklebten Pfeilen auf den rechten Pfad der Streckenführung gelenkt.
Gezeigt wird hier zeitgenössische Kunst des 20. Jahrhunderts, darunter auch Videos und Installationen. Die Stiftung Solomon Guggenheim nennt eine der wertvollsten Kunstsammlungen der Welt ihr eigen. Etwa 300 Kunstwerke sind in Bilbao vorhanden, von denen nur ein jeweils kleiner Teil in einer Dauerausstellung gezeigt wird. Ansonsten gibt es regelmäßig wechselnde Ausstellungen aus dem schier endlosen Fundus der Stiftung. Wer wissen möchte, was aktuell gerade zu sehen ist, wird hier fündig.
Brav laufe ich den gesamten Ausstellungs-Parcours durch. Manches gefällt mir, mit anderem kann ich weniger anfangen. Unterm Strich jedoch finde ich die ausgestellten Werke sehenswert! Hier eine kleine Kostprobe, mit Rücksicht auf die weniger an Kunst Interessierten in homöopathischer Dosis 😎:









Im Erdgeschoss kann man durch das Kunstwerk ‚The matter of time‘ hindurch laufen. Darin geht es zu wie im normalen Leben: Mal wird’s eng, mal dreht man sich im Kreis. Mal ist es einem zu hoch, mal kommt man nicht rein 😂!

Am Nachmittag verlasse ich den Museumskomplex nicht ohne einen obligatorischen Besuch des Museumscafés. Einen Cappuccino und einen Pintxo später …

… bin ich bereit, mich wieder in die Fluten zu stürzen. Denn draußen schüttet es gerade wieder ordentlich. Xirimiri lässt grüßen! So nennt man hier das Regen-Phänomen der stärkeren Schauer bzw. des Nieselregens, das so plötzlich verschwindet wie es auftaucht. Das dann aber mit schöner Regelmäßigkeit. Denn eines darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden: wer mit Spanien eher strahlende Sonne und ständige Hitze verbindet, muss im Baskenland umdenken. Hier ist das Klima milder und deutlich feuchter. Doch wenn ihr hier einen dieser Tage erwischt, an denen die Stadt hinter einem schweren, grauen Vorhang verschwindet, schnappt euch einfach ungerührt einen Schirm und zieht weiter eurer Wege. So machen es die Einheimischen. Oder verbringt eine gute Zeit in einem Museum!
Nachdem ich meine Grundversorgung im nächsten Supermarkt sichergestellt habe, folgt eine ausgiebige Siesta im Hotel. Mein Krimi lockt, mein Reiseführer auch. Die Planung der nächsten Tage will erledigt werden! Zum Glück ist die Hotelterrasse überdacht. So kann Xirimiri mir nichts anhaben.
Kust toll in Szene gesetzt! Und Cappuccino passt zu praktisch allem!
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Danke! Und ja: ein Cappuccino geht in jeder Kombi.
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schöne Stengelchen, bei den andern denkt man an Drehwurm und Irrgarten…nun Kunst ist eben manchmal ganz anders…ich bin Louvre Fan… insgesamt aber wieder schöner Rundgang! LG
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Danke! Zum Glück sind die Geschmäcker ja verschieden. Ich mag den Louvre nur von außen, und auch da nur im architektonischen Kontrast zu der modernen Eingangs-Pyramide. Ich stehe halt mehr auf zeitgenössische Kunst. Alles, was vor dem Impressionismus (also vor dem späten 19. Jahrhundert) entstand, ist hingegen nicht so meins.
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Kunst über Kunst ! Ein paar Dinge finde ich ganz interessant !!
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Und das aus dem Munde eines sonst nicht so an Kunst Interessiertem! Gefällt mir 😎.
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Das freut mich natürlich !!
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Hach, Bahnhöfe! Ich liebe sie! Da gibt’s oft so tolle Überraschungen – besonders im Ausland. Deutschland kann da leider nicht so mithalten, obwohl es natürlich auch bei uns ein paar Schätze gibt (z.B. Leipzig oder Uelzen). Das Innenleben des Museums sieht aber auch sehr interessant aus. Verschachtelt, aber originell. Deine Beschreibung von The Matter of Time fand ich klasse…und passend.😅
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Ja, ich bin auch so ein Bahnhofs-Fan. Überraschend tolle Exemplare davon gibt es ja in den USA, was man in diesem Autofahrerland ja eher nicht vermuten sollte. @Matter of time: 😀
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