Der heutige 1. Mai ist auch in Frankreich ein Feiertag. Und was für einer!

Vielleicht erinnert ihr euch noch an eine beiläufige Bemerkung am Ende meines vorherigen Berichts. Darin deutete ich an, dass sich eine Fortsetzung der gestrigen Tour in die höher gelegenen Gebiete von Croix-Rousse inhaltlich und geografisch angeboten hätte, ich jedoch wegen akuter Auslastung darauf verzichet habe. Zumindest transporttechnisch wird sich das heute als strategischer Minuspunkt herausstellen. Doch davon ahnte ich gestern noch nichts. 

Nun will ich also heute morgen die Anhöhen von Croix-Rousse La Plaine erklimmen. Ich laufe vom Hotel aus zur nächsten U-Bahn-Station – und stehe vor verschlossenen Türen. Ein netter Blumenverkäufer, der wie so viele andere heute kleine Sträuße mit Maiglöckchen verkauft, lässt mich wissen, dass der 1. Mai auch für alle Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe ein Feiertag ist. Sprich: keine U-Bahn, kein Bus, keine Straßenbahn. Die Franzosen bzw. die Lyonnais ziehen das also deutlich konsequenter durch als beispielsweise die Berliner.

Der Blumenverkäufer bietet mir spontan seine privaten Chauffeurdienste an, als er hört, wo ich hin möchte. Doch ich lehne die Offerte ebenso spontan, aber natürlich sehr freundlich ab. Mein Ziel ist von hier aus nicht sonderlich weit weg, doch es geht, so habe ich gelesen, stramm berghoch. Ein Uber muss her. Denn ich will heute mal ein wenig relaxen.

Wenige Minuten später steige ich ein. Fahrer Mehdi ist in Plauderlaune. Kaum habe ich Platz genommen, stellt er die wichtige Frage, ob ich Fußballfan sei. Ja klar! Und schon haben wir ein Thema. Der Hardcore-Fan von Olympique Lyon verfolgt jedes Heimspiel im Stadion. Auf die erfolgreiche Teilnahme von Paris St.Germain in der Champions League angesprochen, reagiert er mit einem Schulterzucken. Er ist nicht neidisch auf den berühmten Club aus der Hauptstadt, PSG ist ihm einfach egal. Olympique sei seine große Liebe, da müsse selbst seine Verlobte mit dem zweiten Platz vorlieb nehmen 😅, gibt er unumwunden zu.

Bevor ich aussteige, reden wir noch kurz über das Land, aus dem ich komme. Er stellt ein paar interessierte Fragen, kommt aber dann erfrischend offenherzig zu dem Schluss, dass es für ihn keinen Sinn mache, Deutschland zu besuchen. Denn Frankreich bietet alles, was ihm wichtig ist, besseres Wetter am Mittelmeer inklusive.

Die Tage, die mit erzwungenen Planänderungen beginnen, haben oft das Potenzial, richtig gut zu werden. So bescherte mir heute die Feiertagslaune im ÖPNV nette Unterhaltungen mit dem Blumenverkäufer und dem Uber-Fahrer. Persönliche Kontakte zu Einheimischen, und seien sie noch so flüchtig, bereichern immer meine Reisen.

Aber auch über diese beiden konkreten Beispiele hinaus funktioniert der Small Talk – ich erwähnte es bereits an anderer Stelle – hier generell so viel einfacher. Auch hier laufen viele, meist junge Leute mit Kopfhörern herum. Doch sie wissen auch noch, wie man die absetzen bzw. rausnehmen kann. Und sie tun es auch 😎.

Ankunft in Croix-Rousse La Plaine. Hier oben auf der Anhöhe geht es dörflich ruhig zu. Was bringt mich hierher? Nun, Lyon ist auch bekannt für seine illusionistischen Murals, diese großen, ganze Fassaden zierenden Wandgemälde. Das bekannteste Trompe-l’oeil-Gemälde, an dem die Technik der optischen Täuschung sehr beeindruckend vermittelt wird, breitet sich auf 1.200 Quadratmetern aus. Es ist die berühmte Mur des Canuts, die Szenen aus dem Leben im Viertel zeigt. Der Effekt ist wirklich verblüffend!

Ich lasse mich noch ein wenig durch das still daliegende Viertel treiben, fange ein paar Details am Wegesrand ein, …

… genieße die Aussicht von hier oben auf die Stadt und überlege mir, was ich mit dem Rest des Tages anfange. Improvisieren ist angesagt. Denn die beiden kleinen Touren aus meinem Reiseführer, die ich ursprünglich ins Auge gefasst hatte, wären mit öffentlichen Verkehrsmitteln sinnvoller. Doch bei denen ist ja heute auch Feiertag. Next time!

Stattdessen laufe ich zu Fuß hinunter ans Ufer der Saône. Bevor ich dieses erreiche, passiere ich nicht ganz zufällig noch ein weiteres dieser riesigen Wandgemälde mit optischer Täuschung. Ich finde diese Kunstwerke richtig genial, besonders im Detail.

Nach dem Mittagessen lasse ich mich noch ein wenig am Ufer entlang treiben, wo mir diese Szene ins Auge springt. Ist zwar am Wasser, geht aber sicher trotzdem als Street Photographie durch, oder?

Nun entschließe ich mich spontan für eine einstündige Bootstour auf der Saône, die mich unter anderem an schon bekannten Gefilden vorbeibringt. Doch vom Wasser aus betrachtet sieht eine Stadt doch immer noch ein wenig anders aus. Es lebe der Perspektivwechsel! Und die tollen Kontraste der Stadt.

Wieder zurück an Land, schlendere ich zurück zum Hotel und gönne mir am Nachmittag eine Stunde Siesta. Dann zieht es mich wieder hinaus. Am Ufer der Rhône verkauft eine ältere Dame Speisen aus ihrer marokkanischen Heimat. Die sehr leckere, mit Gemüse gefüllte Crêpe lasse ich mir anschließend auf den Treppen der Uferpromenade auf der Zunge zergehen. Um mich herum wird das Leben genossen, was das Zeug hält. Ewig könnte ich hier verweilen, doch die Hummeln in meinem Hintern siegen. Weiter geht’s, immer am Ufer der Rhône gen Süden entlang.

Schon bald biege ich ins Viertel Guillotière ab. Dort ist nicht nur die Uni zuhause, sondern gefühlt die ganze Welt. So nah an meinem Hotel gelegen, und doch ein ganz anderes Setting. Hier ist wenig bis nichts pittoresk, von ein paar Unigebäuden abgesehen. Dieses Einwandererviertel wird belebt von Asiaten und Osteuropäern, im Schwerpunkt jedoch von Menschen aus Afrika.

Schnell nehme ich den sicher auch kulturell bedingten Männerüberschuss auf den Straßen wahr. Hier Bombay Fashion, dort viel afrikanische Mode. Überall stapeln sich Waren aller Art auf den Straßen und Bürgersteigen. Läden, Leute, Atmosphäre: Europa könnte nicht ferner sein! Fotos? Nein, ich passe. Nicht aus Angst oder Unsicherheit. Es fühlt sich einfach falsch an. Gerade will ich keine Touristin sein. Stattdessen nehme ich nur mit den Augen auf. Von Gebäuden und Street Art einmal abgesehen.

An diesem letzten Abend drehe ich kurz vor der Dämmerung noch eine kleine Runde durch die Stadt. Am Ufer der Saône, direkt gegenüber der am Hang gelegenen Altstadt, lasse ich mich mit einem Bierchen nieder. Hier im tiefen Westen beginnt die Dämmerung jetzt, Anfang Mai, erst gegen 20:45 Uhr. Schön, wenn es so lange hell ist!

Später, auf dem Rückweg zum Hotel, sauge ich dann die Stadt in der Dunkelheit auf. Lyon, du hast mich sehr begeistert!

Der Freitag bricht an. Aufbruch! Nach dem Frühstück nehme ich ein Uber zum Flughafen. Er liegt 28 Kilometer außerhalb der Innenstadt entfernt. Es geht vorbei an den gesichtsloser werdenden Stadtrandgebieten und Vororten, dann folgt viel Grün im Nirgendwo. Zwischendurch passieren wir das Stadion von Olympique Lyon am Rande der Autobahn, weit draußen. Da muss ich kurz schmunzelnd an Mehdi denken, in dessen Uber ich gestern saß.

Ankunft am schicken Flughafen, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft der noch schickere SNCF-Bahnhof von Santiago Calatrava steht.

Drinnen geht alles flott und pünktlich seinen Gang. Was mir in letzter Zeit an Flughäfen öfter „passiert“ ist und mir auch hier auffällt: das Abflug-Gate wird sehr spät angezeigt. Doch wenn es soweit ist, beginnt das Boarding quasi sofort. Es empfiehlt sich also unbedingt, genau zur prognostizierten Zeit („Anzeige des Gates erfolgt um x Uhr x“) auf die Anzeigetafel zu schauen und dann gleich loszugehen.

Nur wenige Minuten später, was, hüstel, eher meine Art ist, kann einen durchaus schon die Pole Position weiter vorne in der Schlange kosten. Und wehe, du willst noch mal schnell aufs Klo vor dem Boarding – und schwupps bist du die/der Letzte im Flieger, kurz bevor der Last Call mit deinem Namen durch den ganzen Flughafen schallt 🤣. Na ja, sooo schlimm ist das natürlich auch wieder nicht, denn glücklicherweise hat ja jeder seinen festen Platz.

Am frühen Nachmittag lande ich wieder pünktlich in Berlin. Schön war’s! Lyon, du siehst mich wieder.

14 Gedanken zu “Lyon – Neue Perspektiven

  1. Erstaunlich, dass der ÖPNV dort komplett stillgelegt wird. Das habe ich so noch nirgends erlebt. Zum Glück bist du flexibel.

    Die Wandmalereien sind gigantisch. Wieviel Mühe das wohl gemacht hat? Ist ja auch von der Höhe her nicht gerade einfach zu malen…

    Ich gehöre ja zu den Menschen, die möglichst spät an Bord eines Fliegers gehen. Besonders bei Langstreckenflügen. Das ist so eng und oft überfüllt, dass ich den Luxus des Herumlaufens möglichst lange nutzen möchte. Aber ist ja gut, wenn jeder da andere Vorlieben hat. Wenn sich alle bis zum Schluss vor dem Gate herumdrücken würden, würde es nicht funktionieren.

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    1. Ich hatte das auch noch nirgends, dass der ÖPNV an so einem Feiertag komplett wegfällt. Aber irgendwann ist ja immer das erste Mal 😅.

      Ja, diese Wandmalereien sind extrem aufwändig. Umso mehr bewundere ich die Ergebnisse.

      Was die Langstrecke betrifft, so handhabe ich das ähnlich wie du. Man sitzt ja noch lange genug herum. Auf der Kurzstrecke habe ich es irgendwie meist etwas „eiliger“. Kann gar nicht so genau sagen, warum. Bisweilen wird es etwas eng in den Fächern fürs Handgepäck, weil manche ja fast unanständig viel Zeug mit an Bord nehmen. Aber sonst … hm, da gehen mir die Argumente aus …

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  2. Sehr schön! Zusätzlich zur bekannten Mur de Canuts hast du noch weitere Malereien entdeckt – herrlich. Bin auch auf den Berg nach Croix Rousse gelaufen ( uff !), habe aber auf der Rückfahrt die Ubahn genommen: ein echtes Erlebnis. Plötzlich wurde der Zug sehr langsam und fing an heftig zu ruckeln und zu stottern. Ich dachte schon, er bricht gleich zusammen, bis ich sah, dass der Waggon stark schräg nach unten geneigt war. An der Stelle wurde wohl der Hauptanteil des Höhenunterschieds überwunden. Spontane Plaudereien mit Einheimischen mag ich auch sehr. Vor allem in Frankreich, wenn es mit der Sprache mal wieder besser klappt als erwartet.

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    1. Ja, diese riesigen Wandgemälde haben mich echt beeindruckt. Im Reiseführer standen zum Glück ein paar genaue Angaben, wo die bekanntesten davon zu finden sind.

      Um dein U-Bahn-Erlebnis beneide ich dich fast 😅. Ich glaube, ich werde diese Fahrt eines Tages nachholen – und dabei darauf achten, dass das nicht ausgerechnet am Tag der Arbeit auf dem Programm landet.

      Ja, es ist immer schön, seine Sprachkenntnisse auszupacken und aufzufrischen. Die Leute vor Ort schätzen das sehr.

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  3. Dem Uber-Philosophen Mehdi muss man doch uneingeschränkt Recht geben: Was will man auch in Deutschland, wenn man in diesem wunderbaren Lyoner Fleckchen Erde bzw Stadt leben darf – nix! Vive le Savoir-vivre. Herrliche Berichte. Wird Zeit für Lyon…. Liste 2026 wächst 😁🙏

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  4. Ach ja, die bedingungslose Liebe zum Verein kenne ich seit kurzem, und dabei ist es egal, ob dieser gewinnt oder verliert… doch zum Glück muss hier das Mädchen nicht drunter leiden 😉

    Ebenso gut nachvollziehen kann ich das Gefühl, nicht Tourist sein zu wollen. Wenn sich Fotografieren falsch anfühlt und man es einfach nur genießt, mit dabei zu sein.

    In die Schlange beim Boarding stelle ich mich gar nicht erst. Es ist ja nicht so, als ob ich sonst die Strecke stehend fliegen müsste 😉 und viele Airlines arbeiten seit einiger Zeit eh mit dem System, Fahrgäste in Gruppen zu unterteilen und sie dann in jeweiliger Reihenfolge aufzurufen. So gibt es weniger Gedränge im Flieger und die Leute finden sich schneller auf ihren Plätzen wieder.

    Auch mich hat Lyon nicht zum letzten Mal gesehen, fürs kommende Jahr ist eine Tour mit Rene geplant. Die Stadt kann man aber auch immer wieder besuchen, so spannend ist sie.

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    1. @Hansa: da hast du ja ganz schön Glück gehabt, dass du ohne „Herabsetzung“ davonkommst 😁.

      @mittendrin statt nur dabei: so sieht’s aus. Manchmal will man einfach nicht als Touri auffallen, sondern einfach nur mittendrin sein.

      @boarding: ja, wenn in Gruppen aufgerufen wird, läuft es meistens recht gut. Ich habe aber auch schon erlebt, dass es für mich, die immer Gepäck aufgibt und nur einen überschaubaren Handgepäck-Rucksack dabei hat, in den Gepäckfächern eng wurde. Weil es einige halt total übertreiben mit der Menge und Größe des Handgepäcks. Und wenn du da in einem vollen Flieger bei den Letzten bist, die an Bord gehen, ist das halt manchmal blöd. Aber klar, der Sitzplatz ist natürlich immer sicher 😎.

      @Lyon: die Stadt geht immer. War für mir tatsächlich eine DER Entdeckungen der letzten Jahre.

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      1. @Hansa: na wir werden sehen. Im Moment haben sie wohl beschlossen, sich in der Tabelle nicht von der Stelle zu rühren 😉
        @Handgepäck: verstehe ich absolut. Der Rucksack ist meist unser vollständiges Gepäck, ist aber trotzdem überschaubar. Klar, wenn man da seinen halben Kleiderschrank in die Fächer bugsiert, wird es für die anderen eng.

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