25. Februar 2023
Auf dem Weg zum Busbahnhof gibt es noch einen schnellen Kaffee für mich in dem kleinen Stehcafé bei mir um die Ecke. Während ich dort auf dem Barhocker balanciere, blättere ich nebenbei durch die ausliegende lokale Zeitung Lancelot. Ich verstehe nicht jedes Wort. Doch worum es im Großen und Ganzen geht, erschließt sich mir schon.
Zwei Themen dominieren. Zum einen geht es um den Tourismus. Wie hält man ihn bzw. dessen Auswirkungen in einer gesunden Balance? Einerseits ist es der Hauptwirtschaftsfaktor der Insel. Gleichzeitig aber sind große Teile der Insel Biosphärenreservat. Die Insulaner möchten unbedingt vermeiden, dass die negativen Auswirkungen eines Overtourism so ausarten wie auf Gran Canaria oder Teneriffa. Beim zweiten großen Thema dreht es sich um die Wasserknappheit auf Lanzarote und um die Bemühungen, Meerwasser zu entsalzen. Denn für die Bauern wird die Situation zunehmend schwierig.
Nun ist es Zeit, mich zum Busbahnhof aufzumachen. Wenig später bin ich rechtzeitig da. Die Busse heißen hier übrigens nicht autobús wie in anderen Regionen Spaniens, sondern guaguas. Manche Einheimischen sprechen es so aus, wie man es schreibt. Bei anderen hört es sich mehr wie uauas an.
Wie immer, so auch heute, sind hier wie an den meisten Orten der Insel die Engländer deutlich in der Mehrzahl. Mir geht ein Artikel durch den Kopf, den ich kürzlich in der Presse las. In Englands Supermärkten werden Obst und Gemüse knapp, weil die Händler den Bauern wohl zu wenig für ihre Waren zahlen. Rechnet man den Umstand dazu, dass das dortige Wetter im Schnitt auch eher zu wünschen übrig lässt, ist es unter dem Strich in der Tat schlauer, nach Lanzarote zu flüchten. Hier gibt es genug zu essen, und die Sonne lässt sich auch deutlich häufiger blicken 😂.
Heute ist Samstag. In Puerto del Carmen tobt der Karneval – ja, nur in Arrecife war damit am Mittwoch Schluss. Der Kunsthandwerkermarkt lockt viele Besucher nach Haría. Sind ein paar andere Touristen doch schon mal gut beschäftigt. Und das sonnige Wetter mit wenig Wind passt auch. Ein guter Tag, um endlich die kleine Nachbarinsel La Graciosa zu besuchen! Da kommt auch schon der 9er Bus, mit dem ich die für mich bisher längste Fahrt von Arrecife nach Órzola antrete. Für die rund 40 Kilometer lange Strecke zahle ich überschaubare 3,24 Euro.
Die aufladbare Bono-Karte hat neben dem Rabatt auf die normalen Fahrpreise noch einen weiteren, von mir im Vorfeld natürlich nicht einkalkulierten und auch nicht benötigten Vorteil: die Lesegeräte im Bus funktionieren manchmal nicht. Und dann winken die Fahrer die eigentlich zahlungswilligen Fahrgäste einfach durch zu einer Gratisfahrt.
Ankunft in Órzola und gleich weiter auf die nächste Fähre. Zwei Unternehmen bieten die Überfahrt nach La Graciosa an. Sie wechseln sich ab, sodass alle halbe Stunde eine Fähre geht. Für eine Strecke benötigt sie 25 bis 30 Minuten zum rund zwei Kilometer entfernen Inselchen.
Die Fahrt geht sehr turbulent los. Doch nach wenigen Minuten kommt das Schiffchen in ruhigeres Fahrwasser, und ich kann auf dem Oberdeck wieder hin und her laufen, ohne geschleudert zu werden. Viel zu schnell vergeht die Überfahrt, und dennoch bleibt genügend Muße zum Schauen und Fotografieren.



Die Ausblicke auf der Fahrt nach La Graciosa, das sich immer mehr ins Blickfeld schiebt, sind nur ein Vorgeschmack auf das, was mich auf der kleinen Nachbarinsel erwartet. Doch noch weiß ich nicht, dass ich dieses nur 27 Quadratkilometer große Eiland heute als mein Eldorado entdecken werde. Die kleine Insel kommt meiner Vorstellung vom Paradies in der Tat schon ziemlich nahe.
Die kleine Meerenge, die zwischen La Graciosa und Lanzarote liegt, wird übrigens verniedlichend Rio genannt. Das ist natürlich eine charmante Untertreibung. Denn das Gewässer ist erstens sehr tief, und zweitens weht hier oft ein mehr als ruppiger Wind.
Auf La Graciosa gibt es nur einen ständig bewohnten Ort. Er heißt Caleta del Sebo, und hier befindet sich sinnigerweise auch der Fährhafen. Hier gibt es neben den von rund 600 Menschen dauerhaft bewohnten Häuschen einen kleinen Supermarkt, eine Grundschule, ein Gemeindezentrum, einen kleinen Bäckerladen, eine Handvoll Gastronomie und ein paar kleine Ferienunterkünfte.






Bevor ich mich anschicke, den Ort zu verlassen, ist ein kleiner Lunch mit Meerblick und damit der dritte Teil der Testreihe namens Papas Arrugadas fällig. Auch hier sind die faltigen Knollen sehr schmackhaft, reichen aber an die gestrige Variante in Haría nicht ganz heran.

Abgefüllt laufe ich ortsauswärts Richtung Süden und werfe gelegentliche Blicke zurück auf den sich langsam entfernenden Ort und die ihn umrahmende Landschaft.

Diese Landschaft! Die Vulkane, die Strände, die bizarren Formen aus Sand, Lava und Gestein! In der Ferne verlieren sich nur eine Handvoll Menschen an diesem südlichen Strand. Das Rauschen des Meeres ist das einzige Geräusch, das ich wahrnehme. Ansonsten Stille, die so kostbar ist in unserer ansonsten eher lauten Welt. La Graciosa bedeutet Die Anmutige. Der Name ist Programm.





Ich laufe eine ganze Weile umher und strecke mich irgendwann an einer schönen Stelle am Strand aus. Dort ist kaum was los. Die allermeisten Besucher, in der Regel Tagesgäste wie ich, bleiben im Ort, essen, trinken, laufen nur ein paar Meter. Der Rest verläuft bzw. verfährt sich mit dem Fahrrad oder einem Taxi-Jeep.
Später zieht es auch mich wieder zurück Richtung Caleta del Sebo. Für wenige Minuten zieht es sich zu am Himmel, doch schon bald ist der fotogene Spuk vorbei.

Von dort aus laufe ich im Inselinneren ein Stück gen Norden. Auf der Insel gibt es keine geteerten Straßen, sondern nur Sandpisten. Auf einer solchen bin ich zu Fuß unterwegs und muss sie nur mit ein paar Radfahrern teilen.



Ein kurzer Blick auf die Zeit. Was? 🎵Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?🎵 Bevor ich die letzte Fähre des Tages verpasse, drehe ich dann doch lieber um.

Ein Tagesausflug wird diesem unglaublich schönen Eiland natürlich nicht annähernd gerecht. So viel gäbe es noch zu erwandern und entdecken. Es ist nur ein Reinschnuppern, ein Anfixen, das bei mir wirkt. Hier will ich beim nächsten Mal ganz sicher ein paar Tage verbringen, wandern, radfahren, in die Gegend schauen, das Leben, die Stille und die Schönheit genießen.
Am frühen Abend schippere ich zurück nach Órzola und werfe letzte sehnsüchtige Blicke auf den Hafen mit Lanzarotes Steilküste im Hintergrund und später auf das sich entfernende La Graciosa. Wir sehen uns wieder! Versprochen! Und an dieser Stelle mein herzlichster Dank an Kasia von Windrose.rocks für diesen Tipp, der wirklich Gold wert war. Nun wirst du die Insel allerdings mit mir teilen müssen 😎.


Angekommen in Órzola, flanieren ich dort an der Promenade entlang und gönne mir ein Abendessen mit Meerblick.

Mit dem letzten Bus des Tages gelange ich zurück nach Arrecife, wo schon der Sonnenuntergang auf mich wartet. What a day! So tiefenentspannt war ich schon lange nicht mehr.
In La Graciosa war ich damals nicht. Habe die Insel nur gesehen von Lanzarote aus.
Scheint sich aber definitiv zu lohnen und sollte ich mal wieder nach Lanzarote kommen, werde ich mich an deinen Beitrag erinnern.
Zu fotografieren gibt es ja jede Menge !!
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Ja, die Insel lohnt unbedingt einen Besuch! Und dein Fotografenherz würde da auch höher schlagen 😎.
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Das kann ich mir schon sehr gut vorstellen
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Wunderschön! Danke, das du mich nach La Graciosa mitgenommen hast. Den Ausflug auf die Trauminsel habe ich leider nicht mehr geschafft. Aber beim nächsten Mal …
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Immer gerne 😎. Ja, schau beim nächsten Urlaub auf Lanzarote einmal bei der kleinen Nachbarin im Norden vorbei!
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Glückwunsch, alles richtig gemacht. Selbst wenn es nur Fährschiffe sind, aber man hat zumindest zeitweise das Gefühl von großem Ozean. Was bei Dir mit dem Atlantik sogar stimmt, im Gegensatz zur doch jederzeit endlich wirkenden dalmatinischen Adria. Aber trotzdem genieße ich jedes Insel-Hopping und freu mich wie ein König.
Wieder sehr wilde Fotos von der kleinen Anmutigen 👍
@ Papas con Mojo: ich fand, dass auch und gerade die Mojo-Qualität entscheidend ist. Ich mochte dieses Standardessen auch gerne. Gab‘s eigentlich diese typisch kanarische Supa de Berros (ich glaube, so was wie Kresse)?
@ Unsere Freunde vom britischen Eiland: ich denke, da triffst Du voll ins Schwarze. Ich treffe ‚hier unten‘ (you know what I mean) in diesem Jahr erstaunlich (hm, erschreckend) viel mehr meist junge Engländer (oder korrekter, Briten) an, die augenscheinlich der heimischen Inflation (und ökonomischen Tristesse, vom Wetter garnicht zu reden) entfliehen. Zwar sind hier die Preise auch empfindlich gestiegen, aber für das Geld bekommen die Briten hier wenigstens sehr anständiges leckeres Essen und Grünzeug von Bauern. Sofern sie nicht gleich nur auf Flüssignahrung umgestellt haben – was offenbar auf viele zutrifft. Leider. Naja, und über die ursprünglich Tattoo-gefärbten, nun sonnengefolterten rot-weißen Leiber hattest Du ja auch schon an anderer Stelle berichtet. Wirklich kein Anblick, der eines UNESCO-Welterbes würdig ist. Denn am Textil spart man/woman gerne. Aber so geht halt overtourism. Die lokale Gastronomie macht da sehr gerne mit – die Kohle strömt quasi pfundweise (mit Umweg über die Wechselstuben) 🤷♂️
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An Kressesuppe auf den Speisekarten kann ich mich nicht erinnern. Aber vielleicht habe ich sie einfach nur ausgeblendet auf der Suche nach einer „richtigen“ Mahlzeit statt nur einer Vorspeise 😁. Genieße weiter dein Insel-Hopping!
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Dann hat sich meine Vorstellung über die Insel bestätigt!! Tolles Fleckchen für ruheliebende Menschen wie mich!
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Dann ist das sicher genau deine Insel!
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Ha, wie schön! Was für eine grandios herrliche Insel! Da wir so heiß darauf waren, endlich den GR131 zu laufen, haben wir La Graciosa einfach links liegen lassen. Aber Orzola hat mich schon verzaubert.
Danke für die tollen Bilder und das Teilen Deiner Eindrücke. Die schrumpeligen Kartoffeln sind soooo lecker. Wir konnten nicht genug davon bekommen!
Viele Grüße, Mareike
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Immer gerne, Mareike. Schön, dass dir der Beitrag gefallen hat! Vielleicht schaffst du es ja beim nächsten Mal nach La Graciosa. Dort kannst du auch schön wandern, nur nicht ganz so weit, wie du es gewohnt bist 😎. Ach ja, diese Kartoffeln! Ein einfaches und doch so leckeres Gericht!
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Wie immer tolle Berichte mit lockeren Sprüchen garniert. Da sage ich nur „Alter Schweizer“!
Liebe Grüße Horst
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Danke 😁!
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Endlich der La Graziosa Beitrag. Ich war schon gespannt, was du so berichten wirst. Die Insel ist ein kleines Träumchen, und ich teile sie mir gerne mit dir. Aber bitte nicht weitersagen; die Schönheit der Anmutigen bleibt unter uns 😉
Ein Tag ist zu wenig, um alles zu sehen. Selbst zwei Tage sind nicht viel. Am liebsten möchte die Insel einmal zu Fuß umrundet werden. Die Übernachtungen vor Ort sind nicht ganz billig, und dennoch wird es sich lohnen, meine ich.
Liebe Grüße
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Selbstverständlich bleibt dieser Geheimtipp unter uns! Nicht auszudenken, wenn da womöglich noch andere Leute hinfahren würden 🙈. Ich denke auch, dass jeder Cent, den man in die Übernachtungen steckt, eine gute Investition ist.
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Ja, das denke ich auch. Und dann kann man dort wandern, soviel man will 😉
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