23. Juni 2022
Ich nutze meine Zeit bis zum Check Out um 11 Uhr mit diverser Korrespondenz, einer Runde FaceTime mit Stefan und einem Frühstück in der Sonne. Auch meine heimelige Terrasse koste ich aus bis zum Schluss. Dann lasse ich mein Gepäck in der Rezeption und ziehe los ins Städtchen.
Mein erster Weg führt mich in mein hiesiges Stammcafé, das ich euch bereits gestern vorgestellt habe. Kaum habe ich es mir draußen an einem der Tische gemütlich gemacht, bekomme ich auch gleich nette Gesellschaft. Leslie und André, ein reisefreudiges Paar aus Florida, quatschen sich mit mir fest über – na was wohl – das Reisen 😎. Sie sind für zwei Monate mit dem Wohnwagen im eigenen Land unterwegs. Wir tauschen uns auch über das Zugfahren in den USA und Europa aus. Unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten werden ebenfalls ausführlich besprochen. Und wie von Zauberhand ist der Nachmittag schon deutlich fortgeschritten.
Ach, schön war es mit euch beiden! Und ich bemerke an dieser Stelle wieder einmal, wie sehr ich solche Gespräche in meinem persönlichen Umfeld in Deutschland vermisse. In diesem reichen die Interessen und der mentale Tellerrand viel zu oft nicht über Themen wie Job, Familie, Wohnung, Haus, Hof und Krankheiten hinaus, gerne noch garniert mit düsteren Gedanken und Besorgnissen angesichts all der Dramen in der Welt. Doch bevor ich alleine bei dem Gedanken daran vor Langeweile wegdämmere, wechsele ich doch lieber schnell das Thema. Her mit der Lebensfreude!
Höchste Zeit für Bewegung! Nur wenige Gehminuten entfernt beginnt der Helper River Walk. Diesen will ich entlang laufen und mich auch ein wenig weiter ortsauswärts in der Natur umschauen. Mein Glück weilt jedoch nicht lange. Denn es zieht sich zu, fernes Donnergrollen ertönt, die ersten Blitze zucken am Himmel. Hm, dann lieber nicht. Die paar Regentropfen, die mich benetzen, hätten mich ja nicht gestört. Aber außerhalb der Ortschaft ungeschützt am Gebirgssaum entlang zu flanieren, ist mir bei dieser Wetterlage etwas zu heikel.
Allerdings nehme ich mir noch die Zeit, ein wenig über die zahlreichen Geisterstädte zu erfahren, die den Niedergang des Kohlebergbaus nicht überlebt haben.



Zurück nach Downtown Helper. Einen Teil der Main Street hatte ich euch gestern fotografisch vorenthalten, denn die gestern auf den Speicherchip gebannte Bilderflut will und muss auf zwei Beiträge verteilt werden. Da das Wetter heute nicht so mitspielt, bin ich auch ganz froh, dass ich in diesem Beitrag großteils auf das Fotomaterial von gestern zurückgreifen kann.






Zwischendurch statte ich dem Western Mining and Railroad Museum einen Besuch ab. Es hat in einem ehemaligen Hotelgebäude ein Zuhause gefunden und beeindruckt mich sehr! Die fixen Kosten des Museums finanziert die Gemeinde. Alles darüber Hinausgehende funktioniert auf Spendenbasis. Es ist unglaublich, was hier alles zusammengetragen wurde. Die Themenkomplexe reichen vom Minenleben über Zugthemen und das tägliche Leben bis hin zu Sport und Medizin. Ich habe großen Respekt davor, was die Leute hier alles auf die Beine gestellt haben und noch immer stellen. So viel Herzblut, Engagement und Optimismus!






So viele Eindrücke machen hungrig. In der Balance Rock Eatery lasse ich mir ein spätes Mittagessen kredenzen und schlendere dann zurück zum Campingplatz. Damit es euch auf dem Rückweg nicht zu langweilig wird, lasse ich euch noch an ein paar gestern eingefangenen Impressionen teilhaben.








Auf dem Campingplatz angekommen, mache ich es mir in einer der überdachten Sitzecken gemütlich und verbringe den Rest des Nachmittags mit Lesen und diverser Korrespondenz. Denn mein Zug geht erst am frühen Abend. A propos! Gestern Abend habe ich mich wieder einmal an Stativaufnahmen in der Dämmerung gewagt. Was dabei herausgekommen ist, hatte ich euch im gestrigen Beitrag bis auf eine Aufnahme vorenthalten. So schaut es aus:





Nun muss ich aber los! Als ich meinen Koffer an der Rezeption abhole, meint die Dame hinter dem Schalter mit unverhohlener Erheiterung, dass hier noch nie jemand Gepäck deponiert habe. Ich sei wirklich die Erste in den vier Jahren, in denen die Anlage hier existiert 😂. Nun, in Etablissements dieser Art tummeln sich eben für gewöhnlich nur Wohnmobilisten und Autofahrer. Wer steigt hier schon aus dem Zug? Ja, die Elke. Aber sonst kommt es wohl, so wird mir versichert, eher selten vor, dass AMTRAK hier Touristen ausspuckt. Das habe ich zwei Abende zuvor ja selbst erlebt.
Als ich am Bahnhof ankomme, treffe ich dort dann aber doch unverhofft auf Gesellschaft in Gestalt eines sehr gesprächigen Mitarbeiters der staatlichen Bahnaufsichtsbehörde. Er wird heute ausnahmsweise mal bei Amtrak mit an Bord sein und nicht auf einem der Frachtzüge. Der kommunikative Herr stammt aus Ogden, einer Kleinstadt nördlich von Salt Lake City und lässt es sich nicht nehmen, ein paar lokale Anekdoten vom Stapel zu lassen. Und so bekomme ich diverse Fotos von Pumas zu sehen, die sich in die Nähe seines Hauses gewagt haben und natürlich heroisch von ihm in die Flucht geschlagen wurden.
Er hat auch noch ein paar warnende Stories in Bezug auf Klapperschlangen und Bären im Gepäck. Die Fellviecher kämen durchaus auch mal gerne hinunter ins Tal und damit in die Stadt. Er selbst habe schon den einen oder anderen Bären durch die Straßen von Helper tapsen sehen. Die Schlangen hingegen lungerten wohl lieber hier im Bahnbereich unter den Gleisen herum, weswegen die Arbeiter hier besonders vorsichtig sein müssten. Vielleicht hat der Gute aber auch nur die Gelegenheit genutzt, einer arglosen Touristin ein paar Utah-Bären aufzubinden. Wer weiß!
Jedenfalls wird es mir beim Warten auf den California Zephyr nicht langweilig. Als ich an Bord gehe, erwartet mich eine angenehme Zugfahrt in die einbrechende Dunkelheit hinein. Als es nichts mehr zu sehen gibt, döse ich zwischendurch sogar ein wenig ein.
Ankunft in Salt Lake City kurz vor Mitternacht. Der Zug hat nur 40 Minuten Verspätung, was bei Amtrak noch unter Pünktlichkeit zu verbuchen ist. Wir hatten das Thema schon an anderer Stelle.
Als ich aus dem Zug steige, ist weit und breit kein Taxi in Sicht. Mein Hotel ist nur etwas mehr als eine Meile entfernt. Bei Tageslicht würde ich eine solche Strecke auch mit Gepäck laufen. Die Erfindung des Rollkoffers macht’s möglich. Aber mitten in der Nacht alleine mit Sack und Pack durch eine nachts verwaiste und ziemlich üble Gegend in einer US-Großstadt, die Strecke gesäumt von einer Armada an Obdachlosen und Verwirrten? Och nö, lieber nicht!
Da meine elektronische SIM-Karte für die USA nur Internet, nicht aber Telefonie beinhaltet, bitte ich einen der anwesenden Amtrak-Mitarbeiter darum, mir ein Taxi zu bestellen. Eine Vorab-Bestellung macht, wenn man mit Amtrak reist, keinen Sinn. Denn du weißt vorher ja nie, wann der Zug tatsächlich ankommen wird. Nachdem der nette Mitarbeiter umgehend tat, um was ich ihn gebeten hatte, meinte er, das Taxi müsse in wenigen Minuten da sein. Die Zentrale inklusive Taxistand läge schließlich nur wenige Blocks vom Bahnhof entfernt.
Aber letztendlich passiert das, was ich schon öfter von Leuten gehört und gelesen habe, die speziell hier in Salt Lake City mit dem Zug ankommen: das Taxi taucht einfach nicht auf. Andere mit mir hier ausgestiegene Reisende – die übrigens ausnahmslos alle auf ihr bestelltes Uber warten – erzählen mir, dass sie bis zu drei verschiedene Taxiunternehmen angerufen hatten. Keines davon war bereit, ein Taxi zum Bahnhof zu schicken. Ich vermute, dass die meisten Fahrgäste externe Besucher sind, die in die Hotels in Downtown wollen. Und da ist die Strecke zu kurz, um ernsthaft was zu verdienen.
Jedenfalls bin ich heilfroh, dass ich mir vor kurzem die Uber App heruntergeladen habe. Und nun hat sie Premiere. Zum Glück ist ein Fahrer in der Nähe, sodass ich nur fünf Minuten warten muss. Denn mittlerweile wurden alle anderen abgeholt und ich stehe da alleine auf weiter Flur. Innerhalb weniger Minuten lande ich im Hotel und bin erleichtert! Danke, Uber, ohne dich wäre ich heute Nacht echt aufgeschmissen gewesen 😅. Ende gut, alles gut.
Da sieht man mal, dass das Global Warming schon weit vor der Generation der Baby Boomer ordentlich angeheizt wurde. Und wäre Donald Trumpel nicht vom Thron gestoßen worden, hättest du einen Zwischenstopp in Utahs Boomregion gemacht…
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Du sprichst mal wieder in mir unverständlichen Rätseln 😅. Was genau soll da jetzt der Bezug zu meinem Bericht sein?
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ich weiß nicht warum , aber die Tankstellen haben es mir angetan !
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Mir auch! Da steckt einfach so viel geballte Nostalgie drin.
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Der Ort hat irgendwie den Charme längst vergangener Tage. Die Fahrzeuge, die alten Schilder, das alles wirkt sehr nostalgisch. Gespräche: ja, ich weiß, wie das ist, wenn einem tiefere Gespräche einfach fehlen. Düsternis, Sorgen und Beschwerden ermüden mich als Zuhörer, es gibt so viel Interessantes, worüber man sich austauschen kann. Was ich feststelle, ist, dass die meisten Menschen irgendwann im Laufe der Jahre einfach verlernen, lebensbejahend zu sein. Sehr schade…
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@ Helpers Charme: absolut! Ich war ziemlich geflasht von diesem kleinen Örtchen. @ Gespräche: das hast du schön und auf den Punkt gebracht formuliert. Du sprichst mir aus der Seele!
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Da hat sich das Stativ ja schon gelohnt.
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Absolut! Auch wenn ich nur mit der Minimal-Variante in Form eines kleinen Gorilla-Pods unterwegs bin.
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Ein herrlicher Bericht, der mit persönlichen Eindrücken angereichert ist. Das gefällt mir immer sehr und ich versuche auch, entsprechend zu schreiben. Die Bilder sind klasse. Speziell auf den Tankstellenfotos läßt Hopper grüßen!
Auf Tour Reiseaficionados zu treffen ist wahrscheinlicher als zu Hause und mit den kommunikationsfreudigen US -Amerikaners klappt auch der Austausch.
Uber habe ich noch nicht benutzt. Ist es wirklich sicher, nachts ein Uber Taxi zu holen?
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Danke, Inga! Stimmt, die Tankstellen-Szenarien erinnern stark an Edward Hopper.
Ja, so ist es: unterwegs trifft man natürlich eher auf Menschen, die das Interesse am Reisen teilen. Mir fällt halt zuhause bei einigen Leuten in meinem Umfeld auf, dass sie nur über ihre Alltagsthemen ausführlich reden wollen. Ich lasse mich in der Regel darauf ein, wenn ich mein Gegenüber mag, auch wenn ich die Themen oft ziemlich langweilig finde. Im Gegenzug ist dann die Bereitschaft, sich auch mal ausführlicher auf meine Interessen einzulassen, oft sehr eingeschränkt. Dafür fehlt mir mittlerweile zunehmend das Verständnis.
@Uber: da habe ich nur gute Erfahrungen gemacht! Es sind ja nicht nur die Daten und Angaben des Fahrgastes bekannt, sondern auch die des Fahrers. Und es ist jederzeit bekannt, wann das Fahrzeug wo ist. Ich fand es super sicher und zuverlässig und hatte bisher nur nette Fahrer. Und ich habe es seit dieser ersten Fahrt in Salt Lake City schon recht oft in diversen Ländern genutzt. Da die Bezahl-Daten alle in der App hinterlegt sind, brauchst du noch nicht mal deine Kreditkarte dabei zu haben. Ich finde das ganze Prozedere super praktisch, einfach und sicher.
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Wirklich beeindruckend interessant, diese kleine ‚Hilfslok‘. Was mir nicht ganz klar ist…. da leben nur 2000 Leute in dieser „Stadt“ (selbst in unserer alten saarl. Heimat wäre das ein kleines Kaff 😉), für wen werden dann all diese freiluftmusealen Gebäude und die Kunstshops betrieben? Touris scheinen ja auch nicht in Scharen zu kommen. Und wovon leben die Leute dort….. Nostalgie macht ja nicht satt. Klar, typisch deutsche Ökonomen-Frage 😇😅
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All diese Fragen habe ich mir auch gestellt. Berufskrankheit von Betriebswirten 😅! Ich denke mal, dass da sicher einige Betuchte aus altruistischen Gründen investiert haben, zusätzlich zu einigen etablierten Kunstschaffenden aus dem Dunstkreis von Salt Lake City. Und die normale Bevölkerung verdient ihre Brötchen sicher in der nächstgelegenen Stadt. Price ist nur wenige Kilometer entfernt.
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