17. – 18. Juli 2024
Das ist alles deine Schuld, Jürgen! Hättest du nicht im Januar diesen Jahres …
… deinen unerwarteten Abschied vom FC Liverpool angekündigt, hätte der Nordwesten Englands wohl weiterhin ein Schattendasein auf meiner Bucket List geführt. So aber habe ich panisch versucht, noch Tickets für eines der letzten Heimspiele der laufenden Saison zu ergattern, um dich wenigstens ein einziges Mal live am Spielfeldrand toben zu sehen – und deine Jungs natürlich auch.
Hat alles nicht geklappt, aber die Saat war gelegt, der Nordwesten Englands rückte nun wieder in meinen Fokus. Denn klar war schon, seit diese Region auf meiner Liste landete, dass diese Reise ein Dreiklang aus dicht beieinander liegenden Städten werden würde. Die drei Städte sind sich nicht nur geografisch nahe. Auch ihre Historien ähneln sich. Sind sie doch eng mit dem Aufstieg und späteren Fall als Industriestandorte verknüpft ist. Die Rede ist von Birmingham, Manchester und Liverpool.
Die Reihenfolge ergab sich aus dem schlichten Umstand, dass Direktflüge von Berlin nach Birmingham deutlich günstiger zu haben waren als nach Manchester. Liverpool wird erst gar nicht direkt von Berlin aus angeflogen. Nun also auf nach Birmingham!
Es hat was, wenn man erst abends fliegt und den Tag ganz gemütlich angehen kann. Aber nur, wenn es dann auch pünktlich losgeht! Der knallorangefarbene Flieger von Easyjet startet eine ganze Stunde zu spät, da er, von Birmingham kommend, nicht rechtzeitig in Berlin zur Verfügung steht. Nach zwei Flugstunden in Birmingham angekommen, müssen wir nicht nur unsere Koffer einsammeln, sondern auch noch – Brexit sei Dank – durch die Immigration.
Das georderte Uber bringt uns flott ins Hotel, wo wir eine halbe Stunde nach Mitternacht englischer Zeit (für unsere Körper ist es bereits 1:30 Uhr) ermattet in die Kissen sinken.
Am darauffolgenden Tag hängt uns das späte Zubettgehen noch etwas nach, doch die Entdeckerfreude überwiegt und trägt uns durch den Tag. Birmingham serviert uns angenehme 25 Grad bei leichtem Wind. Doch über die Mittagszeit gibt die Sonne alles, um uns doch noch zum Schwitzen zu bringen.
Ein paar Worte zu Birmingham. In Englands zweitgrößter Stadt leben etwas mehr als eine Million Menschen. Der Großraum gibt rund drei Millionen Einwohnern ein Zuhause. Sie erlebte ihre Blütezeit im 19. Jahrhundert, als sie vor allem dank des Reichtums an Bodenschätzen in der Umgebung und billigen Transportwegen über Kanäle zu einer der weltweit ersten Industriestädte heranwuchs. Ihr Niedergang folgte in den 1970er Jahren, als sie rasch ihre Wettbewerbsfähigkeit verlor. Eine Fabrik nach der anderen schloss ihre Tore.
In den 1990er Jahren begann ihre Regeneration, die in den vergangenen zehn Jahren noch einmal richtig Fahrt aufnahm. Heute kann das ehemals als hässliches Entlein verschriene Birmingham mit einer spannenden Mischung aus Alt und Neu punkten. Es ist schwer zu beschreiben, aber wir spüren in dieser Stadt eine Energie und Lebensfreude, die ansteckt.
Die Einwohner haben ihrer Stadt übrigens einen sehr charmanten Spitznamen verpasst. Sie nennen sie liebevoll Brum, sich selber bezeichnen sie als Brummies. Und konsequenterweise sprechen sie dann auch brummie, was die Verständigung nicht unbedingt einfacher macht. Ihr wollt wissen, wie sich das anhört? Dann lauscht einmal dem zarten Stimmchen von Ozzy Osborne:
Doch nun von der Theorie in die Praxis. Auf ins Städtchen! Vom Hotel aus laufen wir zu Fuß Richtung Innenstadt. Dabei passieren wir den Bahnhof Moor, …

… einen der insgesamt drei innerstädtischen Bahnhöfe Birminghams. Direkt gegenüber schillert uns DER Blickfang des modernen Teils der Innenstadt entgegen: das Selfridges Building, das im Wesentlichen eine große Mall beherbergt, punktet mit seiner Fassade aus 15.000 Aluminiumscheiben. Nur wenige Meter weiter wartet das Kontrastprogramm in Form von schmucken Altbauten und weniger schmucken Zweckbauten aus dem 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.


Von hier aus wollten wir ursprünglich die Innenstadt erobern, doch es zieht uns magisch zuerst in den südöstlich davon gelegenen Stadtteil Digbeth. Hier im ehemaligen industriellen Kernstück der Stadt ist heute die Kreativ-, Kunst- und Kneipenszene zuhause. Sie hat es sich in den alten Industriegebäuden sehr gelungen gemütlich gemacht.
In der Gegend um die alte Custard Factory herum schlägt das Herz des Viertels. Tolle Street Art, Biergärten, Kneipen, Bars, Läden, Galerien, Auto- und sonstige Werkstätten sowie kleine Märkte beleben das alte Industriegebiet.
Es ist eine recht raue Gegend, noch nicht hochglanzpoliert, auf dass sie jedem gefallen möge. Einiges ist noch im Werden, aber vieles bereits im Sein. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Peaky Blinders förmlich vor mir, wie sie ihr Unwesen in den Straßen des alten Birminghams treiben.







Ach, es ist nicht einfach, sich hier loszureißen, doch irgendwann kriegen wir die Kurve und nähern uns wieder der Innenstadt. Auf dem Weg dorthin fallen uns zum wiederholten Male die unablässigen Schreie der Möven auf. Sie scheinen zum Sound der Stadt zu gehören, obwohl keine englische Stadt weiter vom Meer entfernt ist als das mitten im Landesinneren gelegene Birmingham.
Schon bald stehen wir vor dem Hauptbahnhof New Street, der sich samt Umgebung und Publikum wirklich sehen lassen kann.


Von dort folgen wir dem ersten Teilstück des in meinem Reiseführer beschriebenen Stadtrundgangs. Er führt uns vorbei am Chamberlain Square …

… von wo aus es nur noch ein kurzes Stück bis zum Centenary Square zu laufen ist. Der unbestrittene architektonische Platzhirsch ist hier die Library of Birmingham, die seit 2013 wie ein riesiger Stapel hübsch verpackter Weihnachtsgeschenke den Platz ziert. Die bislang größte öffentliche Bibliothek Europas ist eine Augenweide, die von den oberen Stockwerken aus auch grandiose Ausblicke über die Stadt gewährt. Und auf dem großzügigen Platz davor ziehen sportliche Rollerskater unermüdlich ihre Kreise.





Genug für heute! Auf dem Fußweg zurück zum Hotel passieren wir nicht nur verlockende Angebote …

… sondern auch die sehr sehenswerten Gebäude des Victoria Law Courts, …

… bevor wir die weitläufige Parkanlage des Uni-Campus der Aston University durchqueren, im Hotel die müden Füße hochlegen und unsere Eindrücke von Birmingham gedanklich Revue passieren lassen. Diese kontrastreiche Stadt mit ihrer tollen Energie, der entspannten Atmosphäre, den freundlichen Leuten, der wilden Baustilmischung ist keine klassische Schönheit. Doch ihr rauer Charme hat uns gepackt. Und das Wetter spielt auch weiter mit. Morgen mehr!

Beim ersten Satz dachte ich schon … ich sei gemeint.
LG Jürgen
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Großartig! Na da warste ja spätestens ab dem Moment wach 😁.
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Ich bin eigentlich immer hellwach Lach ………
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Da hast du mir was voraus 😎.
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Kommt drauf an …..
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So eine Friseurtherapie könnte ich mir auch vorstellen. Ist ja ein Paradebeispiel für Diversifikation.
Birmingham sieht viel besser aus, als ich mir das vorgestellt hatte. Bin schon gespannt auf die Fortsetzung.
Die Verspätungen scheinen bei Billigflügen normal zu werden, vermutlich weil die turnaround Zeiten minimiert werden. Da ist dann null Spielraum.
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Ja, die Friseur-Therapeuten-Kombi ist voll schwabentauglich 😅. Birmingham war für mich auch die große Überraschung auf dieser Reise. Hatte im Vorfeld deutlich weniger Erwartungen. Was die Verspätungen bei Flügen betrifft, so liegst du vermutlich richtig.
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Wow, was für eine Überraschung! Nicht, dass ich je viel über Birmingham nachgedacht hätte (Asche auf mein Haupt), aber das, was du schreibst und zeigst, ist deutlich positiver als alle meine Assoziationen zu dieser Stadt.
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Wer denkt schon über Birmingham nach 😁. Und ja, auch mich hat die Stadt echt positiv beeindruckt. Der Besuch dort war ein Lehrstück darüber, dass man viel öfter auch mal Städte in der zweiten oder dritten Reihe anschauen sollte. Sie haben oft unerwartet viel zu bieten.
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Das sind mir die liebsten Orte, die nicht unbedingt auf den ersten Blick schön, dafür aber interessant sind. Die Stadt hat sich gemacht, doch die Schatten der Peaky Blinders huschen noch immer durch die Gassen. Und die Streetart ist umwerfend, da kann man sicher ewig durch die Straßen streifen.
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Ja, das kann ich ohne Abstriche auch so unterschreiben: Städte, die nicht auf den ersten Blick gefallen wollen, sind mir auch die liebsten. Und fast hatte ich gehofft, dem charmant uncharmanten Thomas Shelby über den Weg zu laufen 😁.
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War nicht mal ein Doppelgänger unterwegs gewesen? 😉
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Den habe ich dann wohl auch verpasst!
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