16. Februar 2020

Der Tag beginnt mit einem sehr schönen Treffen. Ich bin mit Verena und Mika im Benedict am Rothschild Boulevard verabredet, wo wir mit einem leckeren und üppigen Frühstück verwöhnt werden. Nicht ganz zufällig bin ich zur annähernd gleichen Zeit in Tel Aviv wie die beiden.

Mika war sich im Vorfeld seiner Rolle als männliche Minderheit offenbar voll bewusst und erscheint zum Treffen sicherheitshalber schwer bewaffnet 😎.

Kampfbereit

Gegen Mittag verabschieden wir uns voneinander und gehen wieder getrennte Wege. Vom Rothschild Boulevard ist es nur ein kurzes Stück gen Süden, um mein nächstes Ziel zu erreichen: Florentin.

Dieser Stadtteil wurde in den 1920ern von Shlomo Florentin gegründet und nach dessen Großvater David, dem Anführer der griechischen Zionisten benannt. Griechischen Händlern und Handwerkern folgten in den 1950er Jahren unter anderem Juden aus dem Irak mitsamt ihren Gewürzen und Speisen im Gepäck.

Im Laufe der Zeit zogen viele wieder weg aus dem Viertel. Wohnungen wurden zu Lagerräumen umgewidmet. In den 1990ern schließlich entdeckten Künstler und Studenten dieses seinerzeit noch bezahlbare Viertel. Und so kommt es, etwas verkürzt ausgedrückt, dazu, dass heute Werkstätten und Handwerker-Baracken sowie die sie verbindenden Mauerwerke geradezu übersät sind mit origineller Streetart.

Ich beginne meinen Bummel in der Levinsky Street, wo sich auch der gleichnamige Markt befindet. An diesem frühen Sonntagnachmittag geht es hier recht ruhig zu. Ich setze mich in der kleinen Fußgängerzone vor einem Café hin, lasse leckeren, frischgepressten Orangensaft durch meine Kehle rinnen und betrachte die Szenerie um mich herum.

Runde Sache
Abbey Road Solo
Saftbar meets Synagoge
Orientalische Fülle
Angeeckt

Anschließend lasse ich mich weiter durch die kleinen Straßen des Viertels treiben und schaue hier und da in die kleinen Lädchen hinein. Und dann lande ich im Epizentrum der Streetart. Ein Kunstwerk jagt das nächste. Keine Handwerkerbude bleibt unbemalt, keine Baracke unbesprayt!

Werkeln, sprayen, rollen

Besonders in den winzigen und engen Handwerkergassen jedoch wird mir schnell klar, dass ich wohl besser den gestrigen Shabbat für diesen Ausflug gewählt hätte. Denn an einigen Stellen verdecken geparkte Autos vor den Werkstätten einen Teil der Kunstwerke. Ich kann zwar alles anschauen, aber nicht vollständig fotografieren. Teilweise sind die Kunstwerke auch „weggeklappt“, da sie auf Wellblechtoren angebracht sind, bei denen ein Flügel offen steht. Der Sonntag ist hier eben ein normaler Arbeitstag. Und da sind die Handwerker in ihren Werkstätten aktiv. Doch das ist auch interessant anzusehen!

Aber ich will mich nicht beschweren. Wird doch immerhin meine Kreativität herausgefordert, zur Not die richtigen Ausschnitte zu wählen 😎. Insgesamt ist meine Ausbeute dann doch recht ansehnlich geworden. Oder wie seht ihr das?

Pinselstriche
Take me out to the ballgame
Modenschau
Antlitz

Pretty in pink
Gassenhauer
Wechselstube

Raus aus den engen Gässchen, hinein in die „Hauptstraße“ des Viertels, die Florentin Street. Hier herrscht ein charmanter, unaufgeregter Hippie-Flair. Viele Cafés und Restaurants wollen mich in ihr Innerstes locken, doch ich widerstehe. Denn ich bin noch mehr als pappsatt vom Frühstück und zudem von der Neugier getrieben, noch weitere Streetart zu entdecken.

Nur einmal gerate ich dann doch kurz in eines der Restaurants. Denn genau vor meiner Nase stürzt ein junger Mann mit Kunststoff-Gipsfuß und Krücken vor meine Füße, als er versuchte, ins Restaurant zu gelangen. Zusammen mit seiner Begleiterin raffe ich ihn vom Boden auf und begleite ihn bis zum nächsten Stuhl.

Ich laufe weiter die Florentin entlang, …

Vergittert

… und zweige mal hier, mal da ab in kleinere Seitenstraßen. Die Mühe lohnt sich, denn auch dort werde ich fündig.

Straßenszene in 3D
Unter Strom

Im Schatten
IKEA

Ben G.
Das Dritte Auge

Jenseits der Eilat Street und nordwestlich von Florentin beginnt das Viertel Neve Tzedek. Als markanter Beginn steht dort der Neve Tzedek Tower.

Gewellt

Das recht winzige Viertel erweist sich als ein sehr charmanter Teil der Stadt! In der „Oase der Gerechtigkeit“, so die Übersetzung des Namens, herrscht eine fast dörflich-beschauliche Atmosphäre. Die alten Gründerzeithäuschen des vor den Toren Jaffas gelegenen Viertels sind großteils liebevoll restauriert. Vorbei die Zeiten als heruntergekommenes Armenhaus der Stadt, als das es bis Ende der 1990er galt.

Auf dem schönen, ruhigen Platz vor dem Suzanne Dellal Centre für Tanz und Theater lasse ich mich mit einem Getränk und einem kleinen Snack nieder und genieße die Atmosphäre.

Tanzbar

Als Nachspeise gönne ich mir in der benachbarten Flavour Boutique ein köstliches Eis und setze meinen Weg fort. Ich bin neugierig auf das Haus des Neve-Tzedek-Pioniers Shimon Rokach. Dessen Enkelin hat es renoviert und stellt dort nicht nur ihre eigenen Skulpturen von kräftigen, nackten Frauen aus, sondern gibt auch einen Einblick in die interessante Familiengeschichte. Doch leider ist es geschlossen. So bleibt mir nur ein Blick durch das vergitterte Eingangstor. Next time!

Vertont

Mein Weg führt mich weiter zur Lilienblum Street. 1913 vervollständigte hier ein ganz besonderes Etablissement die damals noch blutjunge Stadt Tel Aviv: ein Kino! Das „Eden“ wurde ausgestattet mit einem Projektor aus Alexandria und Sesseln aus Wien – und los ging es mit den Vorführungen. Heute sieht es etwas, hm, mitgenommen aus, …

Für Cineasten

… im Gegensatz zu den übrigen ordentlich aufgehübschten Gebäuden mit den stylischen Cafés, Bars und Restaurants in der Straße.

Durchsaniert
Spitze!

Weiter geht’s in Richtung der „Hauptstraße“ Shabazi Street, deren mittlerweile sehr teures Pflaster ebenfalls eine stimmungsvolle und entspannte Atmosphäre versprüht. Und das in unmittelbarer Nähe zur pulsierenden Innenstadt und mit Blick auf die Hochhäuser! Schicke Cafés, edle Feinkost- und Designerläden sowie diverse Kunstgalerien geben sich hier ein Stelldichein. Muss ich es noch erwähnen? Auch hier ziert die eine oder andere Farbexplosion die Häuserwände.

Glitzerlook
Badekappe
Auswüchse
Kletterer

Der Nachmittag ist bereits recht fortgeschritten. Und so laufe ich hinüber zur Allenby Street Ecke Rothschild Boulevard, um mich mit dem 5er Bus zurück zum Hotel kutschieren zu lassen. Stehe ich in einem Moment noch fast alleine an der Haltestelle, gesellt sich wenig später ein Trupp Militär-Jungs in voller Montur dazu.

Begrünt

Der Bus kommt, die Jungs lassen mir gentlemanlike den Vortritt und füllen dann die restlichen freien Plätze. Geschätzt 25 Maschinengewehre gaukeln mir vor: Derart beschützt wurde ich noch nie! Beim Aussteigen in der Dizengoff Street dann noch ein bizarrer Vorfall voller Situationskomik. Ich stehe auf, der Busfahrer bremst scharf, bevor ich eine der Haltestangen greifen kann. Und so lande ich auf dem Schoß eines der Soldaten. Ich kann euch sagen: auf so einem Maschinengewehr sitzt es sich verdammt unbequem 😅! Ich entschuldige mich, doch er grinst mich nur entspannt an. Auch das ist Tel Aviv.

Zurück im Hotel. Ich erwarte noch einen kurzen Besuch von Verena und Mika zum Sonnenuntergang auf „meiner“ Dachterrasse. Anschließend dann ein sehr gutes Abendessen beim veganen Restaurant „Market“ ein paar Häuser weiter. Feierabend! Morgen ist auch noch ein Tag.

2 Gedanken zu “Tag 6: Tel Aviv – Jetzt wird's bunt!

  1. Also gleich mal zum MG: da kannst du aber wirklich froh sein, dass es gesichert war.🤪
    @Florentin: du warst anfangs ja etwas enttäuscht von dem sehr gehypten Viertel, aber wie ich sehe hat es sich ja dann doch noch gelohnt. Besonders die kleinen Handwerkergassen finde ich sehr schön. Aber waren da keine Menschen (Handwerker?) oder war der Zeitpunkt einfach nur gut abgepasst?
    @ Frühstück: das war einfach nur klasse!👍 Sowohl das Frühstück als auch unser Treffen. Sollten wir noch einmal zufällig zusammen in irgendeiner Stadt weilen, müssen wir das auf jeden Fall wiederholen. Chicago fällt ja leider aus!😩
    @Sonnenuntergang auf der Dachterrasse. Habe die Fotos heute erstmalig gesichtet, sind ganz nett geworden. Kommen in meinem nächsten Blogpost.

    Gefällt 1 Person

    1. @MG: Das stimmt wohl 😂! @Florentin: Die Handwerker waren alle in den Werkstätten zugange. Lief zufällig mal einer durch die Gasse, habe ich gewartet, bis er wieder drinnen verschwunden war 😎. @Frühstück: das schreit auf jeden Fall nach Wiederholung! Ja, Chicago fällt leider flach … @ Sonnenuntergang: Da bin ich schon drauf gespannt!

      Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s