Heute muss ich verdammt früh raus, denn ich will den Zug nach Chicago auf keinen Fall verpassen. Fährt der ohne mich, kann ich auch den nächsten morgen früh nach St. Louis vergessen. So ist das, wenn die Strecken nur einmal pro Tag bedient werden. 

Mein mexikanischer Taxifahrer fährt offenbar meist Hotelgäste zum Flughafen oder zu einem anderen Ziel in Minneapolis. Das Union Depot (Amtrak Station) in Saint Paul kennt er jedenfalls nicht. Da brauche er technische Hilfe. Und schwups drückt er mir sein Navi in die Hand und bittet mich, das Ziel doch bitte schon mal selbst einzugeben. Dass die Navigation und Bedienung auf Spanisch ist – drauf gepfiffen. Und Hauptsache, ich komme rechtzeitig zum Bahnhof :-).

Für diese frühe Uhrzeit – es ist gerade mal kurz nach 6 Uhr – ist schon recht viel los auf den Straßen der Twin Cities. Doch wir kommen trotzdem gut durch. Am Ziel angekommen, saust mein netter Taxifahrer einmal am Bahnhof vorbei, aber beim zweiten Anlauf klappt es. 

Als ich am späten Samstagabend hier gelandet bin, hatte ich keinen Blick für die Umgebung, in der ich gelandet war. Da wollte ich nur so schnell wie möglich ins Hotel. Aber jetzt hole ich das nach. Denn der Gepäckschalter öffnet erst in einer Viertelstunde. Und es stellt sich heraus: auch Saint Paul mischt mit im Wettbewerb um den hübschesten Bahnhof.


 

Jetzt das Gepäck los werden und schnell raus. Ich habe Hunger! Auf der  Suche nach einem Laden in der Bahnhofsgegend, der mir einen Kaffee und was zu essen gibt, treffe ich auf einen Müllmann und frage ihn um Rat. Das Ergebnis: die Tram nehmen, eine Station fahren, hoch auf den Skyway, dann links, dann rechts … Äh, nee, nicht wirklich. In einer halben Stunde ist Boarding.

Also zurück zum Bahnhof. Dort hat die Kaffeebar jetzt geöffnet. „How are you doing“ heißt normalerweise einfach nur „Tach“. Nicht bei der netten Lady hinter dem Tresen. Sie erzählt mir, dass ihr Start heute morgen schwierig war. Tja, es gibt Ausnahmen! Sie brüht mir einen leckeren Latte und kredenzt mir ein Kaffeeteilchen. Was ich da kaufe, ist mir nicht so ganz klar. Denn die Schilder, die darüber aufklären, befinden sich noch in den unendlichen Weiten ihrer buttercremefarbenen Handtasche. Jedenfalls ist das Teil so süß, dass man einen Diabetiker damit lähmen könnte. Doch damit das nicht passiert, hängen vorsorglich spezielle Kästchen zur ordnungsgemäßen Entsorgung der entsprechenden Gerätschaften in den Toilettenräumen. 

 

 

Zurück in der Haupthalle, bewundere ich einen Typen, der seinen Bizeps mit Hilfe seines Rucksacks stählt. Sehr vorbildlich! Man kann die Wartezeit aber auch mit anderen sportlichen Aktivitäten überbrücken.

 

Oder ein Buch ausleihen bzw. mitnehmen. Siehe Titelfoto.
Oder zur Abwechslung wieder was Süßes in sich rein schaufeln.

 
  

Der Zug ist, aus Seattle kommend, heute zu früh hier. Das Boarding wird entsprechend vorgezogen. Und siehe da: hier beherrschen sie die Kunst des Delegierens: das handgeschriebene Zettelchen mit dem Zielbahnhof drauf wird den Passagieren am Einlass bei der Ticketkontrolle gleich in die Hand gedrückt, damit sie es gefälligst selbst über dem Sitz anbringen. Muss der Schaffner weniger schuften.

Auch heute ist wieder eine Meute von Amish People an Bord, die ich in einem früheren Blogbeitrag fälschlicherweise als Mennoniten bezeichnet habe. Doch jetzt bin ich schlauer.
   

 
Ich reiße mir wieder einen komfortablen Fensterplatz unter den Nagel. Und wieder habe ich das Glück, dass der Sitz neben mir frei bleibt. Ich liebe es, mich breit zu machen! Und jetzt entdecke ich auch endlich die hochklappbaren Fußbänkchen, einem Fernsehsessel gleich, die die Sitzfläche vertiefen und man sich so eine veritable Schlaffläche bauen kann, die fast so breit ist wie ein schmales Einzelbett. Freilich nicht so lang, aber mit angewinkelten Knien wird mir mein gemütliches Plätzchen später einen guten Mittagsschlaf ermöglichen. Kopf zum Gang, Füße zum Fenster, und schon klappt der Laden.
 

 
So gut ausgestattet wie manche Mitreisenden bin ich jedoch nicht: die Dame ein paar Sitze weiter hat doch glatt ein Spannbettlaken über ihre beiden ausgebauten Sitze gespannt :-). 

Von dem Kaffeeteilchen vorhin bin ich alles andere als satt geworden. Doch die Snack Bar im Zug ist ausverkauft. Also auf zum Frühstück im Dining Car. Ich halte mich brav an die mehrmals per Durchsage vorgebrachte Aufforderung, bitte Schuhe zu tragen, wenn man den Speisewagen betritt. Denn: No shoes no service . 

Der nette Kellner platziert mich zu einem älteren Paar aus Ann Arbor. Nach harmlosem Einstiegsgeplänkel kommen dann gleich die harten Themen auf den Tisch. „Was denkst du, hat Deutschland zu viel für die Flüchtlinge getan?“ Früh am Morgen, nicht ausgeschlafen, kostet mich die Antwort darauf meine ganze Konzentration. Zum Glück bin ich aber an keine Hardliner geraten, so dass wir schnell auf einen Nenner kommen. Dann wollen sie auch noch eine Stellungnahme zum Rassismus in Deutschland. Uff. Und dann kommt meine Rache. Ich thematisiere die bevorstehende Präsidentschaftswahl und bitte um ihre Einschätzung. Sie zucken zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Denn ihnen graut vor der Wahl, sie wollen gar nicht dran denken. Und sind auch sprach- und ratlos angesichts des republikanischen Kandidaten. Nun denn, das Frühstück kommt. Und wir widmen uns wieder heiteren Themen. 

 
Zurück zu meinem Platz, die Aussicht genießen. Auf dem ersten Abschnitt der heutigen Fahrt bewundere ich die Landschaft entlang des Mississippi, die mir die Dunkelheit auf der Hinfahrt nicht gegönnt hat. Sie ist sehr abwechslungsreich. Und der Empire Builder fährt direkt am Ufer entlang. Der Fluss ist teilweise kaum drei Meter von den Schienen entfernt. Der attraktivste Teil der Strecke liegt zwischen Winona und La Crosse. 64 Kilometer lang begleiten wir den Mississippi auf seinem Weg entlang an sumpfigen Waldgebieten und durch viel Einsamkeit. Stellenweise wirkt der Fluß breit wie ein See. Hier zwei durch das Zugfenster geschossene Beweisfotos von, äh, fragwürdiger Qualität. Ich sach  nur: Unscharfe Phase 😀.
 


 
Weiter Richtung Illinois erinnert die Landschaft mehr und mehr an Brandenburg. Wiesen, Felder, Wälder, ab und an Wasser. Alles flach. Nur noch wesentlich dünner besiedelt. Zeit für ein Mittagsschläfchen …

 

Milwaukee naht und macht aus der Ferne einen guten Eindruck. Selbst beim Bau der mehrstöckigen Autobahn hat man sich Mühe gegeben, die Angelegenheit halbwegs gut aussehen zu lassen. Beim nächsten Mal lege ich hier einen Stopp ein! Nein, nicht wegen der stylischen Rennstrecke …


 
 Es folgen noch ein paar idyllische Dörfchen …


 
… und schon erreichen wir am Nachmittag Chicago. Eine halbe Stunde zu früh! Schnell das Gepäck gerafft und auf zum Hotel. Ich stille danach meinen Bärenhunger – das Frühstück ist Lichtjahre her – beim Italiener um die Ecke. So gesättigt, könnte ich mich gleich bräsig ins Zimmer verziehen. Aber der Alte Sack macht mir Feuer unterm Hintern. Er fordert ein Fotoshooting vor der Bohne. Na gut. Soll er haben. Nicht dass er wieder schlechte Laune kriegt.

 
 
 Auf dem Rückweg zum Hotel drängt sich dann noch dieses Fotomotiv auf. Ohne meinen grünen Begleiter. Der ist schon erschöpft in meiner Hosentasche eingeschlafen. 

 

11 Gedanken zu “Tag 10 – Von Minneapolis nach Chicago 

  1. Liebe Elke, Du bist in Amerika, besser den USA. DA kennt man halt die Eisenbahn nur aus den Wild-West-Filmen. Wenn dann noch dazu dein Spanisch schwächet, kannst Du froh sein, überhaupt angekommen zu sein. Oder Du verkleidest Dich als Amish, dann hätte er Bescheid gewusst 🙂 Denn die dürfen ja nicht anders…

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    1. Ja, ich bin demütig für alles dankbar :-). Als Amish würde ich allerdings verzweifeln. Bis die Mädels ihre knielangen Haare morgens in die Haube kriegen und ihre langen Kleider mit unfassbar vielen Stecknadeln passend in Form gebracht haben, wäre bei mir ja der halbe Tag rum. Mal abgesehen von meiner Faulheit!

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  2. Die Amish dürfen nicht anders reisen, das ist ja interessant .In welchem Buch, das wohl geschrieben steht. Dürfen die wohl mit dem Rad fahren?Es gibt schon merkwürdige Weltanschauungen. Und noch ne Überraschung, es gibt sie doch die politisch interessierten Amerikaner. So hat halt jeder seine Vorurteile über andere Länder!Ach, das mit dem Herbstwetter war auf Deutschland bezogen, falls Stefan dich zu einer Radtour in Berlin motivieren möchte,Sorry, war wohl unklar ausgedrückt. Dir weiter noch viel Spaß mit Land und Leuten.Ich jedenfalls habe auch Spaß mit deinen Berichten 🤓

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    1. Ja, es gibt schon interessante Lebensformen. Ich war ja auf der Hinfahrt von Chicago nach Minneapolis schon überrascht, dass die Amish überhaupt mit dem Zug fahren. Da ist ja auch irgendwie Elektrik mit im Spiel, die sie ja eigentlich ablehnen. Aber DIE Strecke mit der Pferdekutsche? Das wäre ein langer Ritt, im wahrsten Sinne des Wortes :-). Dass Amerikaner recht schnell beim Thema Politik landen, ist übrigens nichts Ungewöhnliches. Das habe ich schon häufiger erlebt.

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  3. Es wäre schön, wenn Amerika so wäre wie deine Bilder. Leider ist das aber nicht der Fall. Würde auch mal gerne ein paar Bilder von der „dark side“ der jeweiligen Städte sehen.

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    1. Ich schaue, was sich machen lässt. Dann poste ich auch mal was Häßliches. Wenn dir schon der Anblick des L-Train in Chicago und die Monsterbaustelle im Skulpturenpark von Minneapolis nicht gereicht hat. 😀.

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    2. Kleine Ergänzung zu meiner Antwort von eben: um die echten dark Sides der Städte zu sehen, bin ich als Touristin allerdings erstens jeweils nicht lange genug vor Ort und zweitens ist es auch nicht unbedingt ratsam, sich als Ortsfremde in bestimmte Gegenden zu wagen. Die South Side von Chicago z.B. habe ich ganz bewusst ausgelassen. Das Elend, das offensichtlich ist, fotografiere ich auch ganz bewusst nur teilweise. Marode Infrastruktur z.B. ist ok, aber die vielen Obdachlosen würde ich aus Respekt nie als Fotomotiv nehmen. Andere schwierige Themen wie die mangelhafte soziale Absicherung und sonstige soziale Angelegenheiten lassen sich nicht fotografieren 😀. Und was das Politische betrifft: den Wahlkampf zwischen Donald und Hillary könnt ihr in der Presse verfolgen. Aber wie gesagt: ich versuche mein Bestes.

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  4. Ein Taxifahrer, der den Weg zum Bahnhof nicht kennt. Unbelievable.

    Die Zugsitze sind ja cool. Da kommt man doch selbst sitzenderweise schon fast in Liegeposition, oder? Schaut zumindest bettnaher aus als Flugzeugsitze.

    Ich bin Fan der letzten beiden Fotos!

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    1. @ Taxifahrer: ja, man wundert sich … @ Zugsitze: die sind tatsächlich recht komfortabel mit ihrer Fast-Liegefläche. Ausgezogen ist es fast wie ein Bett. @ die beiden Chicago-Fotos: Danke! Die liebe ich auch sehr!

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