Kein Regen mehr. Stattdessen Kälte und eisiger Wind. Wieso habe ich keine Handschuhe eingepackt?

Unweit des Musée d’Orsay entsteige ich der U-Bahn. Sehr gerne hätte ich mir die dort laufende Impressionisten-Ausstellung angesehen. Doch dafür hätte ich mir schon lange vor der Reise ein Ticket besorgen müssen. Das jedoch ist nicht mein Stil. Für mich müssen derlei Aktivitäten vor Ort einigermaßen flexibel möglich sein. Im konkreten Fall ist es auch nicht sonderlich tragisch für mich, denn ich habe in meinem Leben schon eine ordentliche Menge an impressionistischer Kunst zu sehen bekommen. Von daher: alles gut.

Bei windigen vier Grad schnattere ich mich von dort aus am Seineufer Richtung Westen entlang. Vor einigen Jahren noch war es nicht möglich, ohne Unterbrechung eine längere Strecke direkt am Ufer zu flanieren. Doch Paris hat mittlerweile eine Menge getan, um die Infrastruktur und Aufenthaltsqualität für Fußgänger und Radfahrer zu verbessern.

Ich staune seit meiner Ankunft vor drei Tagen Bauklötze, wieviele Radspuren hier auf der Straße entstanden sind und wie Einfahrten in größere Verkehrsknotenpunkte so umgestaltet wurden, dass Radler sicherer fahren können. Es ist auch akustisch bemerkbar: Paris ist leiser geworden mit weniger Autos auf den Straßen. Und die Mobilität funktioniert trotzdem. Alles eine Frage des (politischen) Willens.

Was gäbe ich dafür, wenn Berlin nur halb so mutig vorgehen würde! Doch dazu fehlt hier die Erkenntnis, dass Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer sind. Das Auto ist und bleibt der Platzhirsch in unserer Hauptstadt. Doch genug palavert!

Trotz der frischen Temperaturen genieße ich den Spaziergang am Wasser entlang. Es ist nicht viel los, und die Aussichten sind gut. An der Pont Alexandre III halte ich inne, verlasse das Ufer und begebe mich eine Etage höher. Auf der anderen Flussseite bestimmen der Grand und der Petit Palais das Geschehen. Ich schaue mich aus nostalgischen Gründen kurz dort um und kehre dann wieder zur Brücke zurück.

Dort erfreue ich mich am Anblick eines Shootings vor prominenter Kulisse, …

… bevor ich meinen Weg Richtung Eiffelturm fortsetze. Ein bisschen Touri-Kram muss sein!

Ein Blick hinter die Kulissen, sprich Grünanlagen, des berühmten Turms offenbart, dass die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele im August schon in vollem Gange sind. Riesige Tribünen sind zu sehen, weite Bereiche sind hier schon abgesperrt. Ich sehe mich ein wenig um …

… und mache mich dann auf den Weg zum gegenüberliegenden Trocadéro. Erwartungsgemäß ist es dort sehr voll. Etwas mehr erstaunt mich allerdings, wieviele Leute heutzutage immer noch auf die uralten und überaus durchsichtigen Tricks der Hütchenspieler hereinfallen. Naivität kennt offenbar keine Grenzen.

Von hier aus nehme ich die U-Bahn, die mich am Arc de Triomphe wieder ausspuckt. Nun schlendere ich die Champs Elysées hinunter und beobachte das lebhafte Treiben auf der berühmtesten Straße der Stadt. Zwei Kilometer weiter überquere ich den riesigen Verkehrsknotenpunkt an der Place de la Concorde, wo ebenfalls schon unübersehbare olympische Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen.

Und schon bin ich wieder einmal in den Tuillerien und damit beim Louvre gelandet.

Dort zieht mich ein weiteres Shooting eine ganze Weile in seinen Bann. Auch in dem Zusammenhang finde ich, dass die ungeplanten Momente letztendlich die besten sind. Photobombing at its best!

Der Nachmittag ist schon recht weit fortgeschritten. Nun wird es Zeit, mich auf den Weg in den Süden der Stadt zu machen, wo der erste und gleichzeitig letzte vorab geplante Programmpunkt der jetzigen Reise ansteht. Die U-Bahn bringt mich ins 14. Arrondissement. Ich habe mir vorgestern ein Ticket für das letzte Zeitfenster des Tages um 19:15 Uhr besorgt, um in den Untergrund zu gehen. Bei mir wundert euch doch sicher eh kaum noch was, oder?

Die Katakomben von Paris sind schon sehr lange eine Touristenattraktion. Seit 1809 sind sie für die Öffentlichkeit zugänglich. Schon einige Male hatte ich mir vorgenommen, sie mir anzuschauen. Jetzt ist es soweit. Abends auf den letzten Drücker hierher zu gehen, erweist sich als ein kluger Schachzug. Geht es tagsüber hier meist recht voll zu, hält sich der Andrang gegen Abend in Grenzen. Um diese Uhrzeit ziehen die meisten Touristen sicher das Abendessen dem Leichenschmaus der besonderen Art vor.

Was erwartet mich hier? Nachdem ich etwa 20 Meter in die Tiefe hinabgestiegen bin, folge ich den Gängen, in denen zumindest mit meinen 175 Zentimetern Länge fast überall ein aufrechter Gang möglich ist. Nachdem in vergangenen Jahrhunderten zahlreiche innerstädtische Friedhöfe, meist aus hygienischen Gründen, aufgelöst wurden, stapelte man hier in den ehemaligen Steinbrüchen die Skelette von mehr als sechs Millionen Menschen. Nach Körperteilen sortiert, wohlgemerkt.

Die Atmosphäre ist von ganz eigener Art, aber in keiner Weise gruselig. Es ist kühl, dunkel und still. Ich empfinde den Ort als würdevoll. Scheinbar geht es den anderen Besuchern ähnlich. Denn ein ergriffenes Schweigen erfasst auch diejenigen, die in kleinen Gruppen unterwegs sind und oben vor dem Eingang noch eifrig geschwatzt haben.

Von dem insgesamt 300 Kilometer langen Tunnelnetz, das die komplette Stadt unterirdisch durchzieht, ist nur dieser kleine, etwas mehr als einen Kilometer lange Teil, den ich gerade besichtige, offiziell und legal zugänglich. Doch in dem großen Rest ist durchaus Leben in der Bude! Denn er zieht eine ganz eigene Art von Höhlenforschern an. Lest dazu unbedingt diesen total interessanten Bericht aus dem National Geographic!

Nach einer guten Stunde bin ich am Ende des Rundgangs angelangt. Bevor ich das Gelände verlasse, muss ich noch durch die Taschenkontrolle. Denn auf den Diebstahl von Gebeinen stehen hohe Strafen! Ihr könnt aber selbstverständlich davon ausgehen, dass ich mit einer reinen Weste von dannen ziehe.

Als ich wieder Tageslicht erblicke, steht dieses schon fast vor seinem Dienstende. Kurz überlege ich, ob ich nochmal zurück zum Eiffelturm fahre, um sein abendliches Bling-Bling zu bewundern. Doch ich kann mich nicht aufraffen. Schon oft genug gesehen, zu viele Leute. Mache ich es mir doch lieber im Hotel gemütlich!

Der nächste Tag bricht an und mit ihm die Abreise. Nach dem Frühstück packe ich mein überschaubares Köfferchen und deponiere es an der Rezeption des Hotels. Ich nehme die U-Bahn zum Jardin du Luxembourg, drehe dort eine Runde und schlendere den Boulevard St. Michel entlang. Dort finde ich vor, was ich schon bei meinen letzten Besuchen wahrgenommen habe. Viel Leerstand, etwas heruntergekommen, aber die altehrwürdigen Institutionen wie die Sorbonne und diverse Buchläden halten hier weiter die Stellung. Im schön gestalteten Café des Institut Finlandais genehmige ich mir ein zweites Frühstück …

… und flaniere abschließend noch ein wenig durchs Quartier Latin, à la recherche du temps perdu. Es ist schön, in alten Erinnerungen zu schwelgen! Just hier an dieser Stelle fällt mir eine der Geschichten ein, die im Gedächtnis bleiben:

Wir schreiben das Jahr 1985. Frisch das Abitur in der Tasche, verbringe ich ein Jahr als Au Pair in Paris. In meinem ersten Sprachkurs an der Uni findet sich ein illustres, buntes, internationales Trüppchen zusammen. Schon bald verbringen wir auch außerhalb des Kurses hier und da Zeit zusammen. Einer der Spanier, José S., wohnt in einer WG mit einem französischen Arzt, der ihm großzügigerweise manchmal sein Auto leiht, wenn er nicht gerade im Notdienst unterwegs ist.

Zwar kommt man in Paris hervorragend ohne Auto klar. Doch in einer Stadt, in der – zumindest in den 1980er Jahren – immer wieder Tumulte durch Anschläge und Demos und damit Stau und Chaos auf den Straßen herrschen, ist so ein „Dienstwagen“ durchaus von Vorteil. Zumindest, wenn man wie José hemmungslos zum mobilen Blaulicht mit Horn greift, wenn es die Situation erfordert und der Geduldsfaden reißt 🤣. Also brettern wir manchmal mit großem Auftritt und plötzlich genügend Platz um uns herum durch die Stadt.

Bin ich stolz darauf? Natürlich nicht. Hat es Spaß gemacht? Ja, irgendwie schon! Verzeiht mir, ich war jung und machte jeden Blödsinn mit.

Zurück ins Hier und Jetzt. Nachdem ich einen letzten Blick auf Notre Dame geworfen habe, ist es Zeit, die Klamotten aus dem Hotel zu befreien und zum Flughafen zu fahren. Auf dem Weg dorthin fängt es zum ersten Mal für heute an zu regnen, und zwar kräftig. Doch ich sitze im Trockenen. Erst in der Bahn, dann im Terminal, später im Flieger. easyJet bringt mich pünktlich nach Berlin zurück, wo ich am frühen Abend gut lande. Schön war’s! Und es schreit nach Wiederholung.

12 Gedanken zu “Paris – Eine Touristin auf Zeitreise

  1. Ein herrliche Reise! Mir ging es in Paris ähnlich. Immer wieder suchte ich Plätze auf, die ich von meinen Besuchen in den 2010er Jahren kannte und schwelgte in Erinnerungen. Allerdings war mein 2tägiger Aufenthalt im Mai viel zu kurz und zu Neuem wie Street Art und Skulpturengarten kam ich garnicht. Mein nächster Paris Besuch steht an!

    Gefällt 1 Person

  2. Puh, vier Grad sind wirklich etwas zapfig.

    Ich habe schon oft gelesen, dass die Bürgermeisterin von Paris ziemlich konsequent den Umbau zu einer modernen, lebenswerten Stadt vorantreibt. Man kennt ja die Schlagzeilen „Paris verbietet SUVs“ zur Genüge. Stimmt aber gar nicht. Sie haben nur die Parkgebühren für Fahrzeuge über 1,6 Tonnen drastisch erhöht. Und das wirkt.

    P.S.: Nehmen die Leute wirklich Leichenteile als Souvenir mit? Erstaunlich, die menschliche Psyche…

    Gefällt 1 Person

    1. Ja, vier Grad im April kamen wirklich etwas unerwartet 😅. Anne Hidalgo hat in Paris in der Tat konsequente Veränderungen durchgesetzt und sich damit über die Grenzen Frankreichs hinaus einen Namen gemacht. Und es ist so, wie du beispielhaft anführst: da wird in den Medien einiges verdreht, um sie bzw. ihre Maßnahmen in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Das mit den Leichenteilen scheint tatsächlich ein relevantes Thema zu sein. Die Vorstellungen von passenden Souvenirs sind da wohl recht facettenreich!

      Gefällt 1 Person

  3. Würde ich gerne mal mit Blaulicht durch die Stadt düsen? Auf jeden. Hätte ich schlechtes Gewissen dabei? Aber sowas von. Würde es trotzdem Spaß machen? Natürlich. Also, alles richtig gemacht. Schöne Bilder übrigens, habe ich das schon mal irgendwo erwähnt? 😉

    Gefällt 1 Person

    1. Mich hat das auch etwas überrascht, den ich käme nie auf die Idee, diese Art Trophäe oder Souvenir mitzunehmen. Aber offenbar kam und kommt es vor. Für manche scheint die Vorstellung, einen echte Schädel als Deko für den Wohnzimmerschrank einzustecken, wohl attraktiv.

      Like

Hinterlasse einen Kommentar