30. August 2020

Am heutigen Sonntag steht mir der Sinn nach einem Ausflug ins Umland. Als ich am recht frühen Morgen auf den nahezu verwaisten Court de l’Intendance trete (heutiges Titelfoto), empfangen mich sonnige, aber empfindlich kühle 14 Grad. Doch die Aussicht auf 22 Grad im Laufe des Tages lässt mich das Frösteln schnell vergessen.

Ich trinke einen Kaffee im Café Richard an der Porte Dijeaux, wo mir mein ewig gleicher Sonderwunsch (wenig Kaffee, viel Milch) erfüllt wird.

Köstliches Nass

Als die Tasse geleert ist, fällt mir der Abschied schwer. Denn gerade läuft der Kult-Song aus dem grandiosen Clooney-Film „O brother, where art thou?“. Kennt ihr nicht? Dann hört mal rein! Beschwingt, erheitert und mit einem Ohrwurm für den Rest des Tages gesegnet, schaffe ich den Absprung und laufe zur Place Pey Berland, wo die Tramlinie hält, die ich heute für meinen Ausflug nutzen möchte. Dort bietet sich nicht nur die sehenswerte Kathedrale St. André, die heute von einem kleinen Wochenmarkt flankiert wird, als ein würdiges Fotomotiv an, …

Gotik vom Feinsten

… sondern auch diese Szene direkt gegenüber von meinem Gleis. Schickes „Gewand“, oder 😎? Beim flüchtigen ersten Blick dachte ich tatsächlich, der junge Mann trage eine Art hoch angesetzten Wickelrock!

Fein gewandet

Zurück zum Ernst des Lebens. Die Tram kommt! Mit der Linie B fahre ich heute bis zur Endstation Pessac. Bis ich dort angekommen bin, bietet sich reichlich Gelegenheit, aus dem Fenster zu schauen. Was ich da zu sehen bekomme, animiert mich zu dem auch heute eher unpassenden ultimativen Schlechtwetter- oder Müde-Füße-Tipp: Solltet ihr euch eines Tages nach Bordeaux verirren, fahrt einfach einmal alle vier Tramlinien von Anfang bis Ende ab. Da entdeckt ihr mitunter Dinge, mit denen ihr nicht gerechnet habt. So beschließe ich auf der jetzigen Fahrt nach Pessac, beim nächsten Mal der Universität einen Besuch abzustatten. Das Gelände scheint eine Menge Stoff in Bezug auf Architektur und Streetart zu liefern!

Ankunft in Pessac, westlich von Bordeaux gelegen. Hier hält im übrigen auch der Zug nach Arcachon, den ich vor ein paar Tagen genommen hatte. Lust auf eine Landpartie mit mir? Dann los!

Das Örtchen an sich ist überschaubar, bietet jedoch auch ein paar hübsche Häuschen und ein phänomenales, riesiges Wandgemälde, das auch gut und gerne als Foto durchgehen würde.

Dorfleben
Gemalt oder geknipst?

Mein eigentliches Ziel liegt jedoch etwas außerhalb des Ortes. Es ist im Ortskern nicht ausgeschildert. Und da ich das Prinzip „Ask the locals“ gegenüber Google Maps bevorzuge, frage ich in einem Café nach der groben Richtung. Das war eine nur semi-gute Entscheidung, aber immerhin wird es jetzt lustig! Nach intensiver Diskussion zwischen zwei Kellnerinnen und einer Kundin am Tresen lautet die einhellige Antwort: „Zu Fuß 😱? Viel zu weit!“ Ich möge unbedingt den Bus nehmen, wenn ich schon kein Auto habe. Aber ich traue der Sache nicht, denn im Reiseführer las sich das anders. Und so schleiche ich nach einem freundlichen Dank um die nächste Ecke, um heimlich doch noch einen Blick auf Google Maps zu riskieren. Der verrät mir: es trennen mich schlappe eineinhalb Kilometer von meinem Ziel 😂! Diesen Gag kannte ich in der Form bisher nur von meinen zahlreichen Reisen durch die USA.

Ich laufe los und erreiche schon bald die traumhaft schöne Schlossanlage des Château Pape Clément. Das Weingut gehörte im 14. Jahrhundert, ihr ahnt es schon, Papst Clemens. Dort werden bis heute Rot- und Weißweine der Appellation Graves produziert. Der Weg hat sich gelohnt! Edle Gebäude, eine üppige, großzügige und gepflegte Parkanlage mit alten Bäumen (darunter eine riesige Zeder) und sogar ein Pavillon aus Glas und Eisen vom Meister Gustave Eiffel persönlich buhlen um meine Aufmerksamkeit. Ach, was erzähle ich? Schaut einfach selbst!

Päpstlich
Die Grundzutat
Hab mein Wagen vollgeladen
Eiffel lässt grüßen
Zwei auf einen Streich
Edel ruhen
Alles im grünen Bereich
Angestachelt

„Da sind ja überhaupt keine anderen Leute!“, höre ich euch verwundert oder amüsiert fragen. Ein running gag, denn oft warte ich ja auf den günstigen Moment der Leere, um auf den Auslöser zu drücken. Hier ist das an diesem späteren Sonntagvormittag jedoch nicht nötig. Ich habe die komplette Anlage ganz für mich alleine! Nur ein paar Bedienstete wuseln im und um den Eiffel-Pavillon herum. Die Außenanlage war frei zugänglich, und Betreten-Verboten-Schilder habe ich keine gesehen – vielleicht habe ich sie aber auch unbewusst ignoriert. Ich wundere mich schon darüber, genieße aber umso mehr die Exklusivität meines Aufenthalts.

Gegen Mittag dann des Rätsels Lösung: sehr schick aufgebrezelte junge Menschen tröpfeln nach und nach ein. Der Parkteil direkt vor dem Pavillon füllt sich. Aus der anschwellenden Menge löst sich ein junger Mann, kommt auf mich zu und weist mich freundlich darauf hin, dass der gesamte Park heute für eine private Hochzeitsfeier gebucht ist. Für den Rest der Welt gilt damit: Zutritt verboten! Ich nehme es gelassen, denn ich habe alles gesehen und fotografiert, was mich interessiert hat. Und so mache ich mich entspannt vom Acker. Glück gehabt!

Zurück zu Fuß in den Ort. Dort finde ich ein kleines Restaurant, das eine Veggie-Bowl für mich im Angebot hat. Anschließend nehme ich die nächste Tram zurück nach Bordeaux. Auf der Hinfahrt sind meinem aufmerksamen Auge ein paar lohnenswerte Kunstwerke auf der Strecke aufgefallen. Und so lege ich auf der Rückfahrt einen Stopp an der Station Peixotto ein, …

Gelockt
Alles im Griff!

…, nehme die nächste Tram und steige dann zwei Stationen früher aus als geplant (Bergonie statt Victoire).

Einsam

Alle hier gezeigten Kunstwerke (und noch ein paar mehr auf meiner Festplatte) befinden sich in etwas einfacheren Gegenden mit tendenziell leicht zwielichtigem Publikum. Doch ich bin erstens nicht so ein ängstlicher Typ, und zweitens treibe ich mich ja tagsüber hier herum. In den Abendstunden würde ich mir das wohl gut überlegen 😅.

Eine Anmerkung noch zur „Eigenart“ der meisten Streetart-Künstler. Sie verraten in der Regel nicht, wo genau sich ihre Kunstwerke befinden. Man erfährt nur die Stadt und muss sie selbst entdecken.

Bald nähere ich mich den Rändern des Stadtzentrums, wo mich die Place de la Victoire mit allerlei Fotomotiven empfängt.

Geschient
Ungleiche Begegnung
Der bronzene Reiter
Zerrissen

Von dort aus schlendere ich durch die Altstadtgässchen, immer aus den Augenwinkeln auf mehr oder weniger versteckte Kunstwerke schielend.

Maskerade
Na wer wohl?
Ein Radler, bitte!
Gesichter einer Stadt

Auf der Zielgeraden zu meinem Hotel komme ich wieder an dem Café an der Porte Dijeaux vorbei, an dem ich in den Tag startete.

Toreinfahrt

Füße hoch im Hotel! Doch an meinem letzten Abend in dieser wunderschönen Stadt zieht es mich später wieder dorthin, wo alles begann. Für mich in Bordeaux, was dachtet ihr denn 😎?

Am Miroir d’Eau tobt wie immer das Leben, von dem ich ein paar Sekunden für euch eingefangen habe. Was für eine tolle Location!

Als die Dämmerung hereinbricht, entscheide ich mich spontan, in die großen Fußstapfen meines Foto-Meisters Stefan zu treten und mich an Nachtaufnahmen zu wagen. Mein Gorilla Pod (Stativ) liegt im Hotel – da liegt es gut 😅. Muss ich eben improvisieren.

Die „Aus der Hand“-Technik wäre bei dem abnehmenden Licht zum Scheitern verurteilt. Und so stelle ich meiner hilflosen Kamera das Element Wasser vor. Runter auf den Boden mit ihr und ganz nah an die Kante! Besorgte Umstehende beginnen, mich zu mahnen, doch bloß nicht die Kamera zu baden. Doch ich habe das „Gewässer“ nun schon so oft beobachtet und weiß: hier gibt es keine Fluten, und das Wasser läuft auch nie über den Rand hinaus. Auch dann nicht, wenn Leute durchlaufen. Dazu ist das Becken mit seinen zwei Zentimetern Tiefe vermutlich einfach zu flach.

Nach ein paar Probeaufnahmen bin ich mit dem Ergebnis zufrieden – das übrigens die Ehre hat, jetzt zuhause bei uns im Wohnzimmer in Stefans „Hall of fame“ zu hängen. Auf die Frage nach meinem Lieblingsfoto aus meiner Bordeaux-Reihe fällt mir die Antwort leicht. Es ist dieses! Gute Nacht und bis morgen.

Spiegelglatt

5 Gedanken zu “Tag 7: Bordeaux – Auf Landpartie

  1. Ja, die Nachtaufnahme ist auch wirklich super gelungen!👌🏼Das Video kenne ich übrigens schon, du hast es schon in einem der ersten Beiträge gepostet. Dieses „Gelockt“ sieht ja genial aus – ist das echt gesprayt?😳 Wahnsinn! Ansonsten hat sich dein Ausflug tatsächlich gelohnt. So eine schickes Häusle und ein wunderschöner Park. Und dieser getupfte Himmel wieder…😍 Schöne Berichte, liebe Elke. Da konnte man nochmal ein bisschen virtuell ins Warme entfliehen.

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    1. @Nachtaufnahme: danke 😘! @Video: Danke für den Hinweis! Ich habe es jetzt aus Tag 5 rausgenommen, denn in Tag 7 gehört es tatsächlich hin. Ich hatte letztens alle Videos auf einmal in WordPress hochgeladen und offenbar den Überblick verloren 😅. „Gelockt“: Ich denke, das ist „klassisch“ gemalte Streetart. Aber wie dem auch sei: genial ist es auf alle Fälle! @Himmel: ja, der war mir fast jeden Tag hold 😍. @Berichte: danke! Das tut gut zu hören. Es hat mir echt Spaß gemacht, durch das verspätete Schreiben die Reise in Gedanken quasi nochmal erleben zu dürfen. Und ja: Sonne und Wärme wenigstens zum Anschauen! Einen letzten Bericht zu Bordeaux habe ich noch „in der Tasche“. Der kommt spätestens morgen.

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  2. Die Street-Art Kunstwerke sind einmalig, ich bin immer mehr begeistert. Man könnte damit soviele graue Mauern verschönern. Ach… und dann zum Schluß das schöne Abend-video… egal wie oft ich dies schon gesehen habe: ich freue mich auf den nächsten Sommer mit schönen lauen Abenden… Seufz!

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