27. August 2020

Schon gestern versprach mir die Wettervorhersage für heute 29 Grad. Damit war für mich klar: Ich will Meer!

Per Tram fahre ich morgens zeitig zum Bahnhof St. Jean. Dort muss ich etwas warten, denn die Ticketschalter öffnen erst um 9 Uhr. Natürlich hatte ich bereits am gestrigen Abend versucht, online ein Ticket zu erwerben, um heute nicht unnötig Zeit zu verplempern. Auch die Automaten am Bahnhof habe ich tapfer ausprobiert. Doch bei beidem bin ich gescheitert. Nicht sprachlich, sondern weil es viele spezielle Regionaltickets mit fantasievollen, aber wenig aussagekräftigen Namen wie z.B. Tribu oder Plus ohne nähere Erklärungen gibt.

Ich nutze die Zeit und beobachte das Treiben um mich herum. Es ist ein bahnhofstypisches Umfeld, allerdings ohne die sonst an solchen Orten allgegenwärtige Hektik. Hier sehe ich die vertraute Mischung aus Pendlern, Touristen und sozial Benachteiligten. Aus den Ecken dringt zarter Urinduft in meine eher unempfindliche Nase. Das Gebäude selbst ist sehr schön. Ich werde es euch in einem der kommenden Beiträge noch zeigen.

Die Schalterhalle öffnet pünktlich. Vor dem Eingang hat sich eine mittelgroße Schlange gebildet. Doch es geht gut organisiert und flott voran dank freundlicher und hilfsbereiter Mitarbeiter. Die sind auch nötig 😅! Sie sondieren vorab die Gemengelage und fragen, was man möchte. So wird vermieden, dass die Leute eventuell am falschen Schalter landen und sich noch einmal neu anstellen müssen. In meinem Fall lautet der Rat: gehe an den Automaten! Doch dort bin ich ja draußen schon gescheitert. Der nette Herr in Uniform empfiehlt mir für die Hin- und Rückfahrt nach Arcachon mit flexiblen Fahrzeiten ein Tages-Regionalticket mit dem klangvollen Namen Pass ESCAPADE. Na wenn das mal nicht gut zu mir passt!

Auf der Flucht!

Doch wer mich jetzt schon am Ziel wähnt, täuscht sich. Meine beiden Kreditkarten werden von dem wählerischen Automaten nicht akzeptiert. „Ah, deutsche Karten. Haben Sie nicht noch eine andere?“, fragt mein netter „Betreuer“. Äh, nein … Dann muss eben das gute alte Bargeld ran. Doch der Automat nimmt keine Scheine! Gleich nebenan steht jedoch ein Wechselautomat. Ich schiebe einen 20er-Schein rein. Gefühlte Tonnen von 1- und 2-Euro-Münzen scheppern mir entgegen. Da komme ich mir doch fast vor wie in Las Vegas!

In der Zwischenzeit hat der Fahrkartenautomat meinen Auftrag natürlich schon wieder vergessen. Der nette Herr bleibt treu an meiner Seite. Neuer Versuch. Jetzt klappt es. Er händigt mir noch ungefragt einen Fahrplan für meine Strecke aus. Damit nun auch wirklich nichts mehr schiefgehen kann, frage ich, ob ich das Ticket noch extra abstempeln muss, obwohl ja das tagesgültige Datum draufsteht. Ein „Ja“ hätte mir gereicht, aber der gute Mann mit Hang zum Überfürsorglichen zeigt mir dann noch, wie die gelben Stempelkästchen aussehen. Ich habe wohl nicht den pfiffigsten Eindruck hinterlassen 😅.

Das Gleis, auf dem mein Zug abfährt, wird 15 Minuten vor Abfahrt angezeigt. Nicht jeder Bahnsteig ist über jede der insgesamt drei Hallen erreichbar. Meines jedoch schon. Angekommen am Gleis, will ich gleich pflichtbewusst mein Ticket entwerten. Doch das Stempelkästchen auf Gleis B ist defekt. Ich frage die nächste Mitarbeiterin, wo ich alternativ stempeln kann. Und schon bin ich wieder auf dem etwas umständlichen Weg zurück in die Halle, wo ich herkam. Langer Rede kurzer Sinn: solltet ihr jemals von Bordeaux aus mit dem Zug fahren wollen, bringt unbedingt genügend Zeit mit! Oder kauft einfach einen Escapade-Pass und hofft, dass er für eure Zwecke der richtige ist 😎. Senk ju for träwelling wis SNCF.

Ab jetzt klappt der Laden. Die Zugfahrt zu meinem rund 65 Kilometer entfernten Ziel dauert 50 Minuten. Die Zwischenstationen werden zweisprachig angesagt: auf französisch und, nein, nicht auf englisch, sondern auf baskisch. Gewöhnlich verortet man diese Sprache in Spanien. Doch in der französischen Grenzregion zu Spanien ist das Baskische auch verbreitet.

Und nun bin ich in Arcachon. Dort, wo das charmante Seebad liegt, sind nicht einfach nur Strand und Meer. Nein, hier hat der Atlantik mit seinen wilden Fluten auch noch ein riesiges Loch ins Land gebissen. So entstand ein gewaltiger Teich: das Bassin. Arcachon wurde hier im 19. Jahrhundert angesiedelt. Gleich zu Beginn zog das Städtchen allerlei Bohème und Prominenz an. Unter ihnen waren Toulouse-Lautrec, Debussy und Sartre. Seinerzeit ging es den geneigten Besuchern jedoch weniger ums Bräunen als vielmehr ums leibliche Wohl, sprich um gute Luft und noch besseres Essen.

Arcachon mutierte zur Stadt der vier Jahreszeiten. Und konsequenterweise wurden auch die einzelnen Stadtviertel passend dazu benannt: Frühlings-, Sommer-, Herbst-, und Winterstadt. Heute leben rund 12.000 Menschen hier.

Ich laufe vom Bahnhof aus Richtung Meer und lande somit automatisch im touristischsten Teil, der Sommerstadt. Es ist ein angenehmes Flanieren, denn der größte Teil dieses Quartiers besteht aus Fußgänger- bzw. verkehrsberuhigter Zone. Mein erster Eindruck: es ist ein schickes, gepflegtes und gleichzeitig gemütliches Städtchen. Es ist gut besucht, doch nicht überfüllt. Ende August ist es in „normalen“ Jahren ganz sicher voller. Doch was ist schon normal in 2020 😅? Schaut euch selbst einmal um!

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Auf Streife
Abgerundet
Bücherwelten

Ich gönne mir zwischendurch einen Kaffee im Schatten und spaziere weiter. An einer der Hauptachsen biege ich links in dieses Sträßchen ab, …

Grüne Aussichten

… und sehe schon von Weitem den Parc Mauresque. Ein kleiner Anstieg, und schon bin ich in der Ville d’Hiver, der Winterstadt. Hier ist es auffallend ruhig und gediegen. Welch ein Kontrast zur Sommerstadt! Idyllisch schmiegen sich Villen und Prachtbauten der Belle-Époque an den begrünten Hügel. Nun, für ein Weilchen könnte ich es schon aushalten in dieser illustren Ecke. Und ihr?

Abgeschlossen
Klappe zu!
Klatschmohn
Die neuen Mieter
Gotische Zeiten

Dann wieder hinunter ins pralle Leben, …

Am Haken

… wo ein großer Moment auf mich wartet: endlich wieder am Meer 😍! Seit Februar habe ich es vermisst. Und nun liegt es mir zu Füßen. Wunderbar! Ich laufe die Küste entlang, teils auf der Promenade, teils am Meeressaum. Zuerst sind die Strände sehr schmal, …

Wohnen am Wasser

…, werden dann zum Zentrum hin jedoch breiter. Auch hier am Wasser gilt: dafür, dass ich mich hier mitten in der Hauptsaison tummele, ist es ungewöhnlich leer.

Frisch geduscht
An der Leine
Arche Noah
Große Schritte

Ein kurzer Schlenker zurück in die Gassen der Stadt führt mir vor Augen, dass sich auch die strandnahe Sommerstadt in Sachen Wohnkultur nicht lumpen lässt.

Zimmer frei?

Ich erstehe einen leckeren Wrap an einer der Buden, runde meine Mittagspause mit einem Eis ab und setze meinen ausgedehnten Spaziergang am Strand fort. Dort tauche ich meine Füße in das kalte, salzige Nass und wünsche mir, die Zeit möge stillstehen.

Hinter diesem historischen Karussell …

Drehwurm

… beginnt das Gelände des Yachthafens. Ich träume mich auf eines der Boote, belasse es bei einem Foto …

Ausgebootet

… und begebe mich wieder in Richtung Innenstadt. Dort drehe ich noch eine Ehrenrunde. Kommt mit!

Spieltrieb
Balkonien
Abgeschirmt
Platz da!
Marktfreuden

Am späten Nachmittag nehme ich den nächsten Zug zurück nach Bordeaux. Dort angekommen, kaufe ich im nächsten Supermarkt mein Abendessen ein, telefoniere mit Stefan via FaceTime und verbringe einen ruhigen Abend im Hotel. Was für ein schöner, entspannter Tag! Ich liebe das Meer.

8 Gedanken zu “Tag 4: Bordeaux – Ein Tag am Meer

  1. Oh wie schön! So ein hübsches Städtchen! Die glorreichen Villen, aber auch die aufgeräumten Gassen mit den stilvoll verschnörkelten Fassaden sind wahre Augenöffner. Ja, am Meer ist es irgendwie immer toll! Ich liebe es auch, am (oder auf, aber nicht im) Meer zu sein.😅 Die salzige Luft, eine frische Brise an einem warmen sonnigen Tag…hach, ich vermisse es!
    Deine Zug-Eskapaden waren ja wirklich anstrengend, aber letztendlich hat ja doch alles geklappt.🙃

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  2. sehr schöner Beitrag einer anscheinend tollen Stadt und bei dem Wetter hätte es mich auch ans Meer gezogen ! Die Häuser finde ich super und ich nehme das mit dem Untertitel „Abgeschlossen“
    Das wäre was für mich und die tollen Palmen am Eingang ! Hier würde ich es sicherlich aushalten wenn es eben nicht Frankreich wäre ( das hatten wir ja schon ) !
    die schmalen Strände wären nichts für mich, ich bevorzuge da lieber das „Weite und Breite“ ! Gibt es anscheinend ja auch !
    Ja die Jachthäfen, geht mir genauso , ich versetze mich auch gedanklich auf ein Schiff und träume davon es selbst zu besitzen. Segelboote wäre jetzt nicht so meins, ich bevorzuge da lieber eine tolle Jacht !
    Also schön anzusehen dein Beitrag !!!

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