Dieses Jahrzehnt setzt mit der Wiedervereinigung Deutschlands gleich im ersten Jahr ein politisches Ausrufezeichen. Der Kalte Krieg endet. Die Welt scheint sich neu zu ordnen. Der Zweite Golfkrieg beginnt. Mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien kehrt das Kriegsgeschehen nach Europa zurück. Die Bundeswehr beteiligt sich am Nato-Einsatz im Kosovokonflikt. Es ist der erste Kampfeinsatz ihrer Geschichte.

In Südafrika geht die Apartheid zu Ende. Nelson Mandela wird der erste schwarze Präsident des Landes. Großbritannien gibt Hongkong an China zurück. Bill Clinton stolpert über die Lewinsky-Affäre.

Die CDU schlittert in eine Spendenaffäre. Das Asylrecht wird reformiert. Die Grünen verlieren zwei ihrer Urgesteine: Gert Bastian erschießt zuerst Petra Kelly und dann sich selbst. Die Bundeswehr beginnt ihre UN-Mission in Somalia. Zum ersten Mal operieren Bundeswehr-Soldaten außerhalb des Nato-Gebiets.

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls endet nach 16 Jahren. Länger als er war bis dato niemand in dem Amt. Die Regierungszeichen stehen danach auf Rot-Grün. Das deutsche Parlament zieht von Bonn in den Berliner Reichstag. Der Bundestag stimmt mit großer Mehrheit für die Einführung des Euro. Die Währungsunion für Deutschland und zehn weitere Länder tritt in Kraft, auch wenn im Bargeldverkehr die DM erst 2002 durch den Euro abgelöst wird.

Computer, Mobiltelefone und das Internet erobern unsere beruflichen und privaten Sphären. Wir bekommen fünfstellige Postleitzahlen. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik überschreitet die Arbeitslosenzahl die Vier-Millionen-Grenze. Jürgen Schneider macht mit seiner Milliarden-Immobilienpleite Furore. In dem Zusammenhang verleiht Hilmar Kopper dem Begriff „Peanuts“ eine völlig neue Dimension und Bedeutung. Die Telekom geht an die Börse.

Die RAF löst sich auf. Kaufhauserpresser „Dagobert“ hält die Polizei zum Narren und wird Jahre später doch gefasst. Jan Philipp Reemtsma wird entführt. In Rostock-Lichtenhagen fliegen Brandsätze – unter dem Applaus von Anwohnern. Die Gewalt gegen ausländische Mitbürger eskaliert. In Mölln und Solingen sorgen rechtsextremistische Brandanschläge auf türkische Mitbürger für Entsetzen.

In Eschede sterben über 100 Menschen, als ein ICE entgleist. Vor Amrum verliert ein havarierter Frachter Treibstoff und löst eine Ölpest aus. Das „Jahrhunderthochwasser“ an der Oder hält nach schweren Regenfällen und Überschwemmungen die Menschen wochenlang in Atem und verursacht Schäden in Milliardenhöhe.

Daimler-Benz und Chrysler fusionieren. Aus Deutscher Bundesbahn und deutscher Reichsbahn wird im Rahmen der Privatisierung die Deutsche Bahn AG. Der Vertrag von Maastricht als Grundlage der EU wird unterzeichnet. Der „Grüne Punkt“ wird eingeführt.

Deutschland wird zum dritten Mal Fußball-Weltmeister. Jan Ullrich gewinnt als erster Deutscher die Tour de France. Der letzte Trabi rollt in Zwickau vom Band – direkt ins Automobilmuseum der Stadt.

Christo und Jeanne-Claude verhüllen den Berliner Reichstag. In Deutschland, Österreich und der Schweiz tritt die Rechtschreibreform in Kraft. 1,5 Millionen Raver tanzen bei der Love Parade zu Techno und brechen damit alle Rekorde. Günter Grass erhält den Literatur-Nobelpreis.

Der Discman löst den Walkman ab. Farbkopierer und Energiesparlampen kommen auf den Markt. Klon-Schaf „Dolly“ erblickt das Licht der Welt. Prinzessin Diana und Prinz Charles lassen sich scheiden. Das Bezahl-Fernsehen kommt auf. Talk Shows werden populär.

Musikalisch stehen die Zeichen auf Hip-Hop, R&B, Eurodance, Techno, Trance, House, Rave, Jungle, Drum and Bass, Trip-Hop, Indie-Rock und Britpop. Boygroups sind angesagt. Girlies betreten die Bühne. Der Schminkstil wird schriller. Die Mode wird körperbetonter. Als Kontrastprogramm erlebt das Holzfäller-Hemd eine Renaissance. Neonfarben und Plateauschuhe sind angesagt. Jungs tragen lange Haare und Baggy Pants – die Skater-Kultur lässt grüßen. Piercings und Tattoos werden salonfähig.

Inlineskates lösen Rollschuhe ab. Tauschbörsen werden beliebt. Begehrtestes Objekt dabei: Überraschungseier. Wir buchen jetzt gerne Last-Minute-Urlaub . Die Tigerente und die Diddl-Maus mutieren zum Kultobjekt. Statt eines Haustieres hält man sich ein Tamagotchi. „Siedler von Catan“ kommt auf den Markt. Stefan und ich spielen es heute noch.

Und diese inhaltliche Steilvorlage nutze ich doch gleich, um eure Aufmerksamkeit unauffällig und elegant wieder zurück zu mir zu lenken. Ja, was war denn bei der Elke los in den 1990ern? Es kann doch nicht ewig so weiter gehen mit den ständigen Änderungen ihrer Lebensumstände!

In der Tat kam ich in diesem Jahrzehnt in etwas ruhigeres Fahrwasser. Denn – welche Überraschung – auch ich wurde älter, weiser und gelassener. Doch Spaß beiseite: wer will schon mit Mitte 20 in die ewigen Jagdgründe der Langeweile eingehen? Ich jedenfalls nicht!

Berliner Göre

Mein privates Äquivalent zum bedeutenden Paukenschlag der Wiedervereinigung Deutschlands war Stefan. Wir lernten uns 1990 kennen und sind seitdem unzertrennlich – wenn wir mal großzügig von meinen Soloreisen absehen, die ich hin und wieder antrete. Ich studierte weiter BWL, er Zahnmedizin. Wir pendelten zwischen unseren jeweiligen Einzimmerwohnungen in Tempelhof und Moabit, den Vorlesungen und unseren Nebenjobs. Sportlich waren wir auch beide aktiv. Stefan spielte Softball, während ich an meiner bereits im Saarland begonnenen Volleyballkarriere feilte.

Im Laufe der Zeit wuchsen neben meiner Weisheit sowohl meine Haare als auch der Mut, auf den Zug durchaus fragwürdiger Frisurentrends aufzuspringen. Ansonsten fiel ich nicht weiter aus dem gesellschaftlichen Rahmen.

Alles auf Dauer

1992 schloss ich mein Studium erfolgreich ab und folgte dem Startschuss ins Berufsleben. Das war eine nicht zu unterschätzende Umstellung! Mir fiel die Arbeit an sich nicht schwer. Sie macht mir auch bis heute Spaß. Doch die Aussicht darauf, dass sich jetzt nicht mehr wie bisher alle zwei, drei Jahre die Lebensumstände ändern wie in den Jahren zuvor, bereitete mir durchaus Unbehagen. Doch wer mich kennt, ahnt es schon: wo auch immer mich ein Weg hinein führt, finde ich Aus- und Umwege, da wieder herauszukommen oder zumindest den einen oder anderen Haken zu schlagen 😎.

Auch Stefan beendete wenig später sein Studium. Und so richteten wir uns gut in unserem Leben als Vollzeit-Worker ohne Kinder ein. In unserer Freizeit sportelten wir weiter, gingen viel ins Kino, trafen Freunde und reisten durch die europäischen Lande. Ich blieb meinen Locken ein paar Jährchen treu, spielte mit der Brillenmode …

Haarig

… bewies Mut zur Farbe …

Fashionista

… und bereitete mit Stefan den nächsten Lebens-Coup vor. Und so zogen wir 1994 in unsere erste gemeinsame Wohnung in Schöneberg, in der wir bis heute leben. Gebt es ruhig zu: So viel Bodenständigkeit und Kontinuität hättet ihr mir nicht zugetraut, oder?

1995 wagte ich den ersten Jobwechsel, drei Jahre später machte sich Stefan mit einer eigenen Praxis selbstständig. Wir reisten so viel wie möglich. Vor allem in Europa, denn das Fliegen war Stefans Sache zu der Zeit nicht. Doch wir kamen dennoch ordentlich herum! Und schauten uns gerne auch in Deutschland um, z.B. wie hier in Travemünde.

Zwei Monster, beide hungrig

Auch sportlich wechselte ich schrittweise die Seiten. Sehr gerne schaue ich seit dieser Zeit den Beachvolleyballern zu, wie sie sich hingebungsvoll in den Sand werfen. Auf der Zuschauertribüne (hier: Berlin 1995) zu sitzen und Faxen zu machen ist definitiv einfacher zu bewerkstelligen!

Was haben DIE denn genommen?

Ein paar reisetechnische Alleingänge blieben auch in diesem Jahrzehnt nicht aus. So jährte sich 1996 zum zehnten Mal das Ende meiner legendären Zeit als Aupair in Paris. Da wurde mir ganz nostalgisch ums Herz! Eine Freundin von mir absolvierte in jenem Sommer gerade ein Praktikum dort. Nichts wie hin mit mir! Und so wohnten wir für ein paar Tage zu zweit in ihrer heimeligen Dachkammer auf etwa neun Quadratmetern mitten im Marais. Die etwas beengten Verhältnisse hielten uns jedoch nicht davon ab, stilvoll zu leben. Seht selbst!

Stilvoll

1996 ging auch meine Zeit als Lockenkönigin zu Ende. Ab jetzt war ich wieder kurz und knackig unterwegs! Und rüstete mit einer coolen Sonnenbrille auf.

Blaue Stunde

Ende der 1990er hörte ich auf, Volleyball als Wettkampfsport zu betreiben und begnügte mich auf meine alten Tage (ja, mit 33 ist das im Sport so, es sei denn, man steht im Fußballtor) damit, in einer Freizeitmannschaft weiterzuspielen. Und wie das Leben mir im neuen Jahrtausend spielte, erfahrt ihr im nächsten Beitrag 😎. To be continued!

12 Gedanken zu “Meine Lebensreise – Teil 4

  1. Und ich dachte bei den letzten Jahrzehnten: Wenigstens Elke ist ihrer Frisur stets treu geblieben. Und nun das hier! Na ja, bei Gelegenheit zeige ich dir mal Bilder von meiner Dauerwelle aus 1992!

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  2. einfach nur toll geschrieben ! Viele viele von dir aufgeführten Sitiuationen und Ereignisse kommen mir bekannt vor und klar kann ich mich an alles erinnern. Mal mehr mal weniger je nach persönlichen Interessen !
    Komisch ich kann mich an die 70ziger + 80ziger Jahre besser erinnern als an die 90ziger !!!! Beruflich fest im Sattel, die ersten Gedanken geschmiedet über ein Eigentum ( Wohnung oder Haus ), jedes Jahr in Urlaub allerdings mit dem Auto, meinem liebsten Hobby extrem nachgegangen dem Bergsteigen in den _Alpen und ja es war alles in Ordnung.
    ps: Eine Dauerwelle hatte ich auch mal einfach nur grausam. Wie konnte man sich sowas als Mann antun ???
    Toller Beitrag mit schönen Fotos und es wird dir beim erstellen diesen Beitrag mal wieder einiges durch den Kopf gegangen sein !!! Auf ein weiteres !!!

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    1. Danke, Manni! Witzig, mir geht es genauso: die 70er und 80er sind mir präsenter als die 90er. Da ist bei mir persönlich viel mehr „Grundsätzliches“ passiert. Das bleibt dann wohl eher hängen, auch wenn es schon länger her ist. Hast du denn mittlerweile vom Bergsteigen zum Bergwandern gewechselt oder kraxelst du immer noch fleissig herum? @Dauerwelle: ja, bei Männern war das noch einen Zacken furchtbarer als bei den Frauen 😅.

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      1. Ich bin schon sehr viel in den Bergen gewesen und hier meine Krönungstour

        https://mannisfotobude.wordpress.com/2016/04/06/monte-disgrazia-3678-m-im-bergell-italien-mein-hoechster-gipfel/

        Seit meinem Bandscheibenvorfall ging es bergab ! Große Touren gingen nicht mehr und heute muß ich mich mit Höhenwanderungen begnügen. Habe allerdings auch die Liebe zum Meer entdeckt und das ist ja auch was schönes. Die Berge sind aber schon noch wichtig und wenn sie nur zum anschauen sind. Die Gebirgslandschaften sind einfach einmalig !!!

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        1. Jetzt habe ich endlich Zeit gefunden und deinen Beitrag zu deiner Gipfeltour gelesen. Kommentar direkt unter dem Beitrag hinterlassen! Es tut mir echt leid, dass dich der Bandscheibenvorfall gehindert hat, weiter derartige Touren zu erleben. Ich hoffe doch sehr, dass du auch die Höhenwanderungen genießen kannst.

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  3. Sehr schöne Fotos. Witzig. mit kurzen und längeren Haaren ja, aber mit Locken hatte ich dich noch nicht gesehen. Bei mir wechselt die Haarlänge immer wieder: SOS (lang – kurz – lang) 💇🏻‍♀️🧑🏻🤦🏻‍♀️😁

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  4. Sehr erfrischend deine Lebensreisen und auch in der Welt ist in den 90ern einiges passiert. Volleyball habe ich da auch noch gespielt, aber wegen meinem Bandscheibenvorfall geht das leider auch nicht mehr. Die Naturhaare ohne Locken stehen dir sehr gut
    Lg Andrea

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    1. Danke! Und schade, dass dein Bandscheibenvorfall deine Volleyballkarriere beendet hat. Ich spiele auch schon lange nicht mehr. Mit 32 Jahren bin ich diesbezüglich „in Rente“ gegangen und bevorzuge seitdem weniger verletzungsanfällige Sportarten. Man könnte auch sagen: altersgerecht 😅. Ja, und auch meine Dauerwellenphase ist lange vorbei. Gott sei Dank!

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