Kurz vor 23 Uhr steige ich in den „South West Chief“, der mich ab hier bis zum Streckenende in Los Angeles etappenweise transportieren wird. Die gesamte Strecke von Chicago nach L.A. geht über schlappe 3.600 km. Auf meiner heutigen Etappe lege ich 1.500 km zurück. Dafür braucht der Zug rund 18 Stunden. Ist halt kein ICE :-). Wir durchqueren dabei vier Bundesstaaten: Missouri, Kansas, Colorado und New Mexiko. Es ist meine längste Zugfahrt auf diesem Trip.

Da fast die erste Hälfte der Fahrt über Nacht geht, habe ich mir den Luxus eines Schlafwagenabteils gegönnt. Ich staune nicht schlecht, als ich meine Hütte betrete. Sie ist viel größer als ich sie mir vorgestellt hatte. Eigenes Bad mit Dusche, Toilette und Waschbecken inklusive. Sogar einen kleinen Kleiderschrank gibt es. Das schon ausgeklappte und bezogene Bett ist lang genug für meine Abmaße, und auch in der Breite lässt es sich mit ungefähr 1,30 Meter nicht lumpen. Hereinspaziert in die gute Stube!

Das Bett ist komfortabel und bequem, und schon bald lasse ich mich von dem heftigen Geschaukel des Zuges in den Schlaf wiegen. Ich schlafe in Kansas City, Missouri ein und wache in Dodge City, Kansas auf. Geweckt hat mich der Stillstand des Zuges, so sehr hatte ich mich an das Geschaukel gewöhnt. Es ist 5:30 Uhr und noch stockdunkel. Ich döse noch ein Weilchen vor mich hin und mache mich dann ausgehfein, um den Dining Car fürs Frühstück zu entern.

Es ist 7:15 Uhr, die Sonne geht gerade auf – und es ist schon eine Menge los im Speisewagen. Ich werde auf die Warteliste gesetzt und harre in der benachbarten Sightseer Lounge – die kennt ihr schon von meiner Fahrt von Chicago nach Minneapolis – der Dinge, die da kommen. Um mich herum, wie mittlerweile gewohnt, wieder eine Gruppe der Amish. Dann werde ich aufgerufen. „Elka, party of one, please come to the Dining Car.“ Mache ich dann auch prompt. Dank Starbucks bin ich ja schon an meinen neuen Namen gewöhnt.

Ich werde zusammen mit einem älteren Paar aus Illinois samt Enkeltochter am Tisch platziert. Es stellt sich heraus, dass die beiden alte Balloon-Festival-Hasen sind und natürlich ebenfalls nach Albuquerque wollen. Ihre T-Shirts sind gespickt mit zahlreichen Ansteckern von vergangenen Festivals. Jedenfalls verlasse ich den Frühstückstisch nach einer Stunde mit detaillierten Infos und Instruktionen zum Festival: an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit, falls ich selbst mitfahren will: welche Balloons und welche nicht, historische Hintergründe, Essens- und Anreisetipps bis hin zur Beschreibung der Kleidung der „Einweiser“, die den Luftverkehr dort regeln. Bill versäumt auch nicht, mir die App zu zeigen, die die jeweils aktuellen Wind- und Wetterverhältnisse vor Ort anzeigt. Daran schließt sich ein Kurzvortrag über optimale thermische Bedingungen fürs Ballonfahren an. Nun denn, ich bin gewappnet!

Die beiden sind diese Zugstrecke schon öfter gefahren und wissen genau, wann die ersten Indianerreservate kommen und wo mit größeren Horden an Elchen zu rechnen ist. Mit denen hätte ich ja ehrlich gesagt auf dieser Strecke eher nicht gerechnet. Er zeigt mir ein Beweisfoto von der letzten Tour. Und tatsächlich: eine große Menge an Elchen, genauer gesagt 82. Er hat sie akribisch gezählt …

Es folgen die üblichen Themen: Angela Merkel, die Flüchtlinge, das nicht vorhandene Speedlimit auf deutschen Autobahnen (sie benutzen tatsächlich das deutsche Wort „Autobahn“, obwohl sie sonst kein Wort deutsch sprechen), Hillary und Donald. Dann verabschieden wir uns.

Zurück in meiner Luxusbehausung, mache ich es mir auf meinem Sitz bequem und genieße die Landschaft. Erst ist es flach und steppig, dann kommen zarte Hügelchen dazu, niedriges Buschwerk, ab und an eine Wasserpfütze, in der Ferne einzelne versprengte Häuser und Farmen. Kühe. Autofriedhöfe. Zwischendurch ein Knast. Und das eine oder andere Dörfchen.

In La Junta, Colorado vertrete ich mir dank eines zehnminüten Stopps draußen die Füße und atme die klare Luft ein. 

Kurz darauf tauchen rechterhand die ersten Ausläufer der Rocky Mountains auf. 

Einer der AMTRAK-Jungs kündigt vollmundig an, auf der Strecke seien Rehe, Elche und gelegentlich auch Bären zu sehen. Nix davon ist wahr, zumindest nicht heute. 

Zwischendurch nehme ich schon mal mein mobiles Office in Betrieb und beginne mit dem heutigen Blogbericht. Hoch lebe das iPad mini und die faltbare Tastatur.
 

Je weiter wir nach Westen gelangen, desto grüner wird es. Kurz vor Raton treffen wir nicht nur auf den berühmten Santa Fe Trail, sondern passieren auch die Grenze zwischen Colorado und New Mexico. Es ist zugleich mit 2.300 Metern der höchste Punkt auf der Route des Southwest Chief. Direkt dahinter wird es finster, denn wir fahren in den einzigen Tunnel auf der gesamten Strecke. Nach Raton wird die Landschaft wieder kahler, flacher, versteppter. Jetzt wird es Zeit, die Uhr um eine Stunde zurück zu drehen. Nun hinke ich acht Stunden hinter euch her. Mountain Time statt Central Time.
 

It’s lunchtime. Die Mahlzeiten und Getränke sind übrigens bei der Buchung eines Schlafwagenabteiles inklusive. Dieses Mal sitze ich mit zwei Australiern aus Melbourne am Tisch. Ich bestelle einen Veggie Burger, den ich in Ruhe verzehren kann, während ich mit Blick nach draußen die Landschaft bewundere. Denn wir unterhalten uns zwar, aber nicht durchgehend, was ich zur Abwechslung mal ganz entspannend finde 😀.

Wenig später nimmt der Zug eine scharfe S-Kurve. Da er recht lang ist, kann man an dieser Stelle witzigerweise zugleich das vordere und das hintere Ende sehen.
 

Etwa eine Stunde bevor wir Albuquerque erreichen, kommt uns der Schwesterzug, der „Southwest Chief“ von Los Angeles nach Chicago, auf dem Nachbargleis entgegen. Bis es soweit ist und er uns passiert, bleiben wir stehen und setzen unsere Fahrt erst fort, als er vollständig an uns vorbeigerauscht ist. Ob wohl eine zu große Sogwirkung entstünde, wenn beide aneinander vorbei fahren? Und womöglich eines der robusten Schlachtrösser aus der Bahn werfen würde? Keine Ahnung.

Kurz vor meinem heutigen Ziel wird die Landschaft immer spektakulärer.
 

 
Mit einer halbstündigen Verspätung erreichen wir Albuquerque am späteren Nachmittag. Beim Aussteigen schlägt mir die Wärme des Südens entgegen. Auf dem Fußweg zum Hotel wird mir schnell klar, dass das hier eine andere Welt ist. Nicht nur vom Wetter her. Die Typen, die Autos, das Setting … Ich sach nur: „Los Pollos Hermanos“ meet Jesse Pinkman! Sorry, ist ein Insiderwitz für Breaking Bad Fans :-). Morgen mehr! Ich bin schon sehr gespannt auf die nächsten Tage. Wird schräg werden, soviel ist sicher. Passt ja zu mir.

PS: Sorry für die schlechte Fotoqualität heute. So ist das, wenn man aus dem fahrenden Zug durch dreckige Scheiben fotografiert.

8 Gedanken zu “Tag 14 – Von Kansas City nach Albuquerque

  1. Wow, was für eine schöne Reise Du Dir da ausgesucht/erarbeitet hast. Bin gespannt auf Breaking Bad-Fotos und viele Ballons. Aber nicht mitfliegen! Da fallen nämlich schon mal welche einfach runter. 😳
    Aber eine Frage bewegt mich doch: wozu braucht man auf dem Klosett (siehe dein Foto) ein Kleiderbügel? Meine Vermutung: weil’s so eng ist, zum Festhalten? Schräg die Amis.

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    1. @ Reise: Ja, ich bin bisher auch sehr zufrieden mit dem, was ich mir da zusammengestellt habe. @ Ballonfahrt: keine Sorge, ich bin bodenständig geblieben! @ Breaking Bad: kommt noch 😈😈😈. @ Closet: ein Kleiderbügel hat noch keinem geschadet 😀.

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  2. Bist Du ausser auf Amish auch schon auf demoralisierte Radfahrer gestossen? Oder halten die alle durch wie im Frühjahr der Thomas? sh.: http://europish.eu
    Du musst Dich jedenfalls nicht quälen, Dein Etablissement wirkt sehr einladend für den „beschwerlichen“ Weg nach Westen. Die vollflächige Wasserspülung in der Nasszelle ist mindestens genauso funktionell wie der seniorengerechte Sitz zum fensterln 🙂

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    1. Auf der Strecke gebliebene Radler habe ich im Zug bisher noch keine getroffen. In Chicago stand mal einer mit Rad, Gepäck und Behälter für die Kollekte am Straßenrand und bat um Spenden für die Weiterreise. Wahrscheinlich per Flieger 😂. Ja, die Nasszellenkonstruktion ist originell, entspricht aber dem, was man auch in so manchem europäischen Wohnmobil vorfindet 😀.

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  3. Hi Elke,
    vielen dank für Deine Informationen zur Reise mit tollen Bildern die alles interpretieren!! Sollte ich die Tour mit dem Auto zwischen den Städten ergänzend angehen, geht’s mir manchmal durch den Kopf…. Erstaunt bin ich allerdings was Du auf der Zugreise durch Dein Objektiv einfängst. Auch wenn die Fenster des Zuges schmutzig sein sollen, finde ich schöne Wolkenformationen über einem einfach erscheinenden Motiv. Übrigens fasziniert und inspiriert mich die Toilette: „Duschen auf dem Klo“ oder „Abflussfreies duschen“ oder „Duschen mit anschliessendem Hamam“(blockieren die Handtücher nicht den Abzug?) „..für Steh-und Sitzduschen“ geeignet….äähh. Tolle Schlaf-Comfort Kabine …hätte ich in den USA nicht erwartet…

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    1. Ja, Sabine, dann nix wie her mit dir! Freut mich, dass du hier jetzt schon mal virtuell mitfährst. Und ja, die Duschkabine mit integriertem Klo bringt einen durchaus auf kreative Gedanken 😂. Ist in diversen Wohnmobilen in Europa übrigens auch so gelöst.

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  4. Die super schönen Bilder erinnern mich an den Norden Mexikos (ok, wenig verwunderlich, der ist ja auch nicht so weit weg). Wie gesagt, tolle Fotos, auch durch dreckige Scheiben, und bei voller Fahrt aufgenommen, beeindruckend. Das beste ist natürlich das Selfie auf Deinem für Zugverhältnisse komfortablen Bett.

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    1. Freut mich, dass dir die Fotos gefallen und dich an deine zweite Heimat erinnern. Hier in Albuquerque erinnert noch viel mehr an Mittel- und Lateinamerika. To be continued! Und ja, das Bett im Zug war bequemer als so manches Hotelbett 😀.

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