„Ich kann auch anders, Mädel“, lässt mich Chicago am frühen Morgen höhnisch wissen. Denn genau in dem Moment, in dem ich den ersten Schritt vors Hotel wage, setzt ein sintflutartiger Regen ein, der sich und die Stadt ordentlich gewaschen hat. Drohend donnert es dazu am dunklen Himmel. Mit Rumlaufen ist erst mal nix. Und die Museen liegen um diese Uhrzeit noch im Tiefschlaf. Ok, Plan B muss her.

Ich erstehe ein Dreitagesticket für die U-Bahn und beginne sogleich mein ÖPNV-Schädigungsprogramm. Eine oberirdisch fahrende Strecke soll es sein, damit ich trotz Shitwetter bequem was sehen kann. Rein in die Brown Line und ab nach Norden. Das Zufallsprinzip treibt mich in der Station Armitage raus in den mittlerweile schwächer werdenden Nieselregen. Und siehe da, Chicago kann auch klein und Altbau:

Hoffnungsvoll trabe ich nach einem kleinen Rundgang durch das hübsche Viertel zurück zur U-Bahn. Der Regen lässt nach. Die Purple Line bringt mich zurück in die Innenstadt und zum Thema des heutigen Tages: The Loop, das Herz der Stadt. Eine Hochbahn, Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, fährt im Kreis oder besser gesagt im Oval um die Innenstadt herum und umzingelt damit eine ganze Menge von dem, was die Stadt an Konsumtempeln, wegweisenden Wolkenkratzern, Theater- und Kulturszene und Kunst zu bieten hat. Mit dem Loop ist also sowohl die Ringbahn als auch das Stadtzentrum innerhalb des Rings gemeint. Ich drehe eine Runde in dieser speziellen Art von Karussell und finde es ganz großartig!

Der Rundparcours, kurz L oder L Train genannt, wurde als Hochbahn auf eigener Trasse über der Straße angelegt, um den damals chaotischen Verkehr anno 1892 in den Griff zu bekommen. Dieser ratternden, lauten, häßlichen und angeblich bisweilen unzuverlässigen Hochbahn wurde im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wieder der Abriss angedroht. Aber mittlerweile wurde sie wohl in den Status der Unsterblichkeit gehievt. Heute fahren fünf Linien auf jeweils rund 1,5 km Länge rund um die Innenstadt, wobei jede von ihnen an einer Stelle aus dem Ring aussteigt und in eine jeweils andere Himmelsrichtung abzweigt. Beeindruckt hat mich, wie eng die L sich an manchen Stellen an die Häuser schmiegt und wie stark sie die Innenstadt dominiert. Fast wie eine Stadtmauer :-).

Steht man allerdings oben auf einem der Bahnsteige, bieten sich wunderbare Stadtansichten:

So, nun aber raus, denn der Regen hat sich vom Acker gemacht. Es hat nur unwesentlich abgekühlt, aber dafür hat die Luftfeuchtigkeit noch eine Schippe drauf gelegt. Ich starte meinen Rundgang durch den Loop am Thompson Center, einem seinerzeit gewagten Bau von Helmut Jahn. Ursprünglich als State of Illinois Center geplant, befinden sich heute Büros, Shops, Läden und eine Kunstgalerie darin. Beeindruckend ist auch die Skulptur, die vor dem Haupteingang thront: das Monument with Standing Beast. Auch die Eingangshalle lässt sich kunsttechnisch nicht lumpen.

Ein paar Straßen weiter überrascht mich die Umgebung des Chicago Temple mit zwei beeindruckenden Skulpturen von Miro und Picasso. Spätestens jetzt wird mir klar, dass der Loop auch noch so eine Art Freilichtmuseum ist, für Besucher gratis. Die beiden Skulpturen nehmen mich so in den Bann, dass ich darüber fast vergesse, den kuriosen und zugleich höchsten Kirchenbau der Welt (das Ulmer Münster gewinnt hingegen den Wettbewerb um den höchsten Kirchturm) zu würdigen. Der Picasso ist so schön, dass ich mich gar nicht entscheiden kann, welche Ansicht ich hier rein stelle. Am besten gleich zwei :-).

Weiter zur Federal Plaza. Dort hat sich der gute Herr Mies van der Rohe eindrucksvoll mit dem mehrteiligen Bundesverwaltungszentrum verewigt. Der eigentliche Blickfang ist jedoch der knallrote Flamingo von Alexander Calder.

Das nächste Schmuckstück wartet gleich um die Ecke. Wo zuvor erst das Rathaus, dann ein Wassertank  und anschließend die Stadtbücherei standen, steht seit Anfang des 20. Jahrhunderts The Rookery. Mit 12 Stockwerken eher ein Bonsai unter Chicagos berühmten Bauten, beeindruckt der Bau denn auch eher von innen als von außen. Zumindest mich … Die Lobby wurde von Frank L. Wright gestaltet. Schaut selbst und bildet eure eigene Meinung:

Erschöpft von so vielen tollen Eindrücken gönne ich mir eine Pause mit einem leckeren Donut aus einem originellen Verkaufswagen. Nach einem netten Plausch mit der Verkäuferin genieße ich die leckere Kalorienbombe. Der Wagen samt Verkäuferin hat es heute dann auch zum Titelbild geschafft.

Ab durch den Financial District und hin zum höchsten Gebäude der Stadt, dem Willis (ehemals Sears) Tower. Bis 1997 war er mit seinen 527 Metern (Antenne inklusive) der welthöchste Bau. Längst von der Spitze abgelöst, ist und bleibt er trotzdem ein beeindruckendes Bauwerk mit seiner würfelförmig gestapelten Struktur. Eigentlich ist es ein Muss, auf die Aussichtsplattform hochzufahren und den Blick auf die Stadt zu genießen. Aber der Himmel ist mittlerweile wieder so grau, dass ich die Sache vertage und auf besseres Wetter warte. Ich bin ja mittlerweile verwöhnt hier, was das angeht :-).

In der Innenstadt lassen es sich aber auch andere Wolkenkratzer nicht nehmen, gut auszusehen. Ob mit oder ohne Hut. Hier meine letzten Eindrücke von heute, ohne weiteren Kommentar. Ich will euch ja schließlich nicht überfordern.

8 Gedanken zu “Tag 4 – Chicago: The Loop oder die umzingelte Stadt

  1. Beindrückend und überzeugend, Deine BIlder und Beiträge. Danke Elke. Chicago ist wirklich ein Must qua Architektur und Kunst am Bau. Vom letzteren kann Berlin noch einiges lernen aber mit klammer Staatskasse wird das wohl nichts. Ich hätte bei der hispanic Frau alles von oben bis nach unten probiert, vor allem beim 1 (?) Dollar Coffee! Lass Dich vom Wetter nicht beeinflüssen! Ich vermute mal, dass die Sonne wieder scheint, zumindest in Deinem Herzen!

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    1. Freut mich, dass du meine Beiträge und Fotos magst. Danke! Ja, in Berlin sieht die Sache mit spektakulärer Architektur leider anders aus. Ich denke, da fehlt nicht nur die Kohle, sondern bisweilen auch der Mut, was Außergewöhnliches ins Stadtbild zu setzen. In Sachen Kaffee: ich glaube, dieses Schnäppchen verspricht nur der Wagen, nicht die Verkäuferin:-). Aber der Donut war der Hammer, ich hätte auch am liebsten alle probiert. Dann hätte mich aber sicher der Zuckerschock ereilt. Sonne im Herzen geht klar! 😎

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  2. Hach, müsste man nicht arbeiten und wäre Chicago ein bischen näher dran, man würde mal lang vorbeikommen. Die Stadt macht schon auf den tollen Fotos spaß, wie muss das erst in echt sein?! Seufz.

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